Vielen herzlichen Dank, Nargash, für die Überlegungen und Einwände.
Zunächst einmal: Schon wieder Werbung für Muslimas? Uiuiui, das wär wohl was für mich...
Ausserdem besitze ich seit vielen Jahren keinen Fernseher mehr, so dass ich nicht länger unter zumindest diesem Einfluss stehe.
(Nachrichten kenne ich bestenfalls aus den Zeitungen - oder oft überhaupt nicht mehr. In gewisser Weise bin ich stolz darauf, oftmals NICHT mit "Aktuellem" informiert zu sein - und völlig "uninformiert" sozusagen "ausserhalb" zu stehen. Ich halte mich diesbezüglich an Nicolás Gómez Dávila:
"'Aktualität' bezeichnet den Gipfel des Unbedeutenden.")
Ferner muss vielleicht mal grundsätzlich festhalten werden, was ich bisher offenbar zu wenig eindeutig getan habe, dass ich hier von einer qualitativ gänzlich anderen Form des Islams spreche. Darum auch der Titel "Islamische Sufi-MYSTIK und Derwische" - und nicht "Hurra, wir finden den 08/15-Islam der einfachen, uneingeweihten Massenmenschen toll".
Es besteht in JEDER Religion ein hierarchischer Unterschied zwischen der Exoterik, also der äusseren Religion mit den Dogmen und einer Theologie für die Massen, und der inneren Lehre der Philosophen, Asketen, Eremiten und Weisheitssucher. Man hat sich heutzutage darauf geeinigt, diese verborgene Esoterik, die NICHT für die Massen der normalen Gläubigen gedacht ist, einheitlich als Mystik zu bezeichnen; ferner (mit einem anderen Bedeutungsgehalt) als Metaphysik.
Die Lehrsätze aus der Mystik der meisten "verschiedenen" Religionen, welche stets nur von einzelnen Gottessuchern und -sucherinnen aufgestellt, aber niemals von den "offiziellen" theologischen Gremien verabschiedet wurden, ähneln sich in erschreckender Weise, so dass etliche Sätze von heidnischen, islamischen, christlichen, vedisch-hinduistischen und anderen Mystikern praktisch austauschbar sind! Die meisten Mystiker waren sich dessen zu allen Zeiten sogar bewusst, weswegen sie nach Möglichkeit innige, herzensoffene Freundschaften zu den Mystikern und Gottessuchern anderer Religionen pflegten.
Einige hierarchische Unterschiede zwischen Exoterik und Esoterik innerhalb einer jeden Religion:
Exoterik: Massenglauben, Dogmen, monistische Theologie, Verabsolutierungen von relativen Teilwahrheiten, eng gesteckte Religions- und Heilsziele, kein wirkliches Transzendenz-Bewusstsein.
Esoterik: individuell (d.h. im wörtlichen Sinne "atomos": unteilbar mit der Ganzheit), den Dogmen enthoben, keine Theologie (sondern höchstens eine Art von "Theosophie" im Sinne von Jakob Böhme [NICHT Blavatsky!!!], Meditation, Kontemplation, Gottesliebe, Demut, Erkenntnis von Transzendenz und Immanenz sowie der "Einheit in der Vielheit und der Vielheit in der Einheit" (wie der alte vedische Lehrspruch lautet); aber der Mystiker ANERKENNT die Exoterik und die Dogmen für die Massen, weil er darin verborgene Schlüssel zur Wahrheit erblickt, die für die normalen Gläubigen NICHT ersichtlich sind.
Diese Unterschiede gelten selbstverständlich auch für das germanische Altheidentum und das zumeist von jenem völlig verschiedenen Neuheidentum.
(Heidnische Exoterik: "Heil Wotan!" und "Odin statt Jesus!" herumbrüllen und dabei das Met-Horn schwingen, sowie bestenfalls niedere schamanistische Praktiken. Und auf der anderen Seite höhere philosophische heidnische Esoterik, welche den Rahmen hier sprengen würde; nur so viel: es geht häufig sehr stark in Richtung jüdische Kabbala, welche bekanntlich äusserst komplex ist.)
Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen, welche zumindest auf Teilgebieten ihres Lebens als echte Mystiker gelten, aber andererseits einen unversöhnlichen Hass gegen eine andere Religion predigten, wie z.B. im 12. Jahrhundert der heilige Bernhard de Clairvaux gegen den Islam, weil der Islam nicht Gottes Dreifaltigkeit anerkennt und darum eine arianische "Ketzerei" sei.
(Auf der anderen Seite ist aus genau dem gleichen Grunde seit über tausend Jahren aus islamischer Sicht das Christentum eine "Ketzerei", da die Dreifaltigkeit die polytheistische Verehrung von drei verschiedenen Göttern beinhalte.
Wer hat nun recht? Der echte Mystiker sagt: "Beide!" - und hat damit die Theologen beider Seiten gegen sich, welche keine Nerven haben, sich die philosophischen Erörterungen des Mystikers anzuhören.)
Mein Ansatzpunkt zur Deutung der (vielschichtigen) inneren Lehre des Islams liegt bei Plotin und der neuplatonischen Lehre von der Emanation und der Involution, welche besagt, dass die ewige, aber formlose Materie sich vom Bewusstsein ableitet - und nicht umgekehrt, wie das die modernen Wissenschaftler nach ihren Glaubenssätzen unbewiesenermassen immer behaupten, sowie der neuplatonischen Lehre von den Hypostasenstufen, deren wichtigsten (aber nicht die einzigen) folgende sind:
Psyche (= die Seele)
Nous (= die Überseele, falsch mit "Geist" übersetzt, obwohl damit keineswegs die mentale Ebene gemeint ist)
Hen (der Eine, der sich selbst in der Ekstasis transzendiert und deshalb nicht identisch mit der Einheit der Vielheit ist)
Diese entsprechen den vedischen Sanskrit-Begriffen:
Atma (= die Seele)
Paramatma (= die Überseele)
Brahma (= der nonduale und energetische Advaita-Aspekt Gottes, aber noch nicht identisch mit Gott als Immanenz, nämlich Vishnu, und Gott als individuelle Transzendenz)
Diese Hypostasenstufen finden sich auch INNERHALB eines jeden Menschen, was alle Mystiker zu allen Zeiten betonten.
Grausame Menschentaten und überhaupt das Böse an sich, gleichgültig ob menschlichen oder nichtmenschlichen Ursprungs, ist selbstverständlich NICHT zu begründen mit jener hohlen Flosker von wegen "Gottes Wege sind unergründlich", wie das Theologen schulterzuckend zu tun pflegen.
Mystiker sind in der Regel eben KEINE Theologen (abgesehen von dem kompromisslosesten Jahrtausend-Philosophen Meister Eckhart) und haben deshalb sehr wohl klare Antworten auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen. Ich habe schon mehrfach in diesem Forum, sogar in diesem Faden, den neuplatonischen Standpunkt nach Plotin dargelegt, aber ich tue es nochmals. Die Formel des Ursrpungs des Bösen (mit Ergänzung nach meinen heutigen Erkenntnissen) lautet:
Das Böse ist die Matrix der Materia auf der äussersten Hypostasenstufe, hervorgerufen durch die Identifikation mit dem relativen Ego.
So einfach soll es mit ALLEM Bösen in der Welt (und in einem selbst) sein?
- So einfach IST es!
Der neuplatonische Philosoph Boethius formulierte es in seinem Buch "Trost der Philosophie" ("Philosophiae consolatio") ganz radikal. Er hatte ja auch allen Grund dazu. Boethius war ein spätantiker, hochgebildeter und reicher Römer aus dem Senatorenstand, jedoch NACH dem Untergang des Weströmischen Reiches während der ostgotischen Herrschaft in Italien. Durch politische Verleumdungen geriet er bei König Theoderich dem Grossen in Ungnade, wurde in den Kerker gesteckt, an eine Halsfessel gekettet und schrieb den "Trost der Philosophie", ehe er um 524 hingerichtet wurde.
Dieses Werk steht noch auf höchstem antiken griechisch-römischen Bildungsstand und besticht durch die kristallklaren Gedankengänge und Worte, aufgelockert durch selbstgedichtetet Verse. Anstatt sich in dieser ausweglosen Situation im Kerker der Verbitterung hinzugegeben und dem Hass und Groll auf seine Denunzianten zu frönen, lernt Boethius im Zwiegespräch mit der Göttin Philosophia ähnliche Erkenntnisse, wie sie sich unabhängig davon teilweise in einigen vedischen Büchern (z.B. in der Bhagavad-Gita) und in den Erkenntnissen islamischer Sufi-Meister finden.
Durch lange Erörterungen kommt Boethius zum Schluss, dass das, wonach unbewusst alle streben, die Glückseligkeit ist, deren Merkmal die Selbstgenügsamkeit und dadurch wahre Macht ist, und welche identisch mit dem Guten und damit mit dem Besten ist, nämlich mit Gott .
Das Böse hingegen ist für Boethius ein "Nichts", da er dem Bösen jegliches Sein abspricht. Wer sich nämlich von seinem naturgegebenen Streben nach Glückseligkeit = das Gute = Gott lossage, habe sich von seinem eigenen Sein losgesagt, weswegen der Bösewicht auf Erden nur noch ein wandelnder Schatten in einem menschlichen Körper ist. (Damit hat Boethius um 800 Jahre teilweise bereits Dante vorweggenommen.)
Während derjenige, der nach wahrer Glückseligkeit strebt, diese auf jeden Fall auch erlangt, erlangt der Bösewicht am Ende zur Strafe nur seine eigene Nichtsnutzigkeit.
(Siehe dazu meinen uralten Karma-Faden in diesem Forum.)
So viel zum Bösen.
Wie unterscheidet sich nun aber die esoterische von der exoterischen Sichtweise im Islam?
Ein kleines Beispiel soll das (neben den bereits gegebenen) illustrieren:
Das islamische Glaubensbekenntnis, die Shahádah, deren erste Hälfte häufig auch als Dhikr benützt wird (Dhikr [arabisch] = Mantra, Japa-Yoga; z.B. für den Tasbih = Gebetskranz / islamischer Rosenkranz), lautet bekanntlich:
"Lá iláha illa 'Lláh / Mohammadun Rasúlu 'Lláh"
Das ist ziemlich schwer wörtlich zu übersetzen.
Ich selber würde es so sagen:
"Keine (anbetungswürdige) Gottheit (gibt es), sondern nur Gott; Mohammed ist der Gesandte Gottes."
Nicht nur die meisten Muslime, sondern auch die meisten Nicht-Muslime verstehen das ganz plump wortwörtlich im Sinne von: "Es gibt keinen Götzen neben Gott; und Mohammed ist sein Gesandter."
Der hohe eingeweihte Sufi-Meister Frithjof Schuon sagt dazu aber ganz etwas anderes, bzw. nicht etwas wirklich anderes, sondern wesentlich tiefschürfender:
"Der erste Teil der Bezeugung, welcher verneinend ist ("Es gibt keine Gottheit...") bezieht sich auf die Welt, welche sie auf das Nichts zurückführt, indem sie ihr alles Positive nimmt; der zweite, welcher bejahend ist ("...ausser Gott, Allah"), bezieht sich auf die absolute Wirklichkeit oder das Sein. Das Wort "Gottheit" (ilah) könnte man durch irgendein Wort ersetzen, das einen bejahenden Begriff enthält [...]
Anders gefasst, ist die Shahádah das Nebeneinanderstellen der Verneinung lá iláha (keine Gottheit), und diese Gegenüberstellung ist verbunden durch ein Wort, dessen erste Hälfte, die bejahend ist, sich unmittelbar auf Allah bezieht, und dessen zweite Hälfte, die verneinend ist, mittelbar auf die "Nichtwirklichkeit". Folglich gibt es in der Mitte der Shahádah gleichsam ein umgekehrtes Bild der Beziehung, die sie ausdrückt, und diese Umkehrung ist die Wahrheit, wonach die Welt die ihrer Stufe eigene Wirklichkeit besitzt, denn von der göttlichen Ursache kann nichts abgetrennt werden.
[...] Die Basmalah ist der "herabkommende" Strahl, und die Shahádah ist sein Inhalt, das waagrechte Bild, welches in der Welt die Wahrheit Gottes widerspiegelt; in der zweiten Shahádah (Muhammadun Rasúlu 'Lláh) spiegelt sich dieser senkrechte Strahl selbst wieder, die Projektion der Botschaft wird zu einem Teil der Botschaft.
[...] Wie die Basmalah, so hebt auch die zweite Shahádah die Verneinung auf, welche durch die erste Shahádah ausgesagt ist, die ihre "ausgleichende Dimension" oder ihre "Berichtigung" bereits in sich trägt, nämlich, symbolisch gesprochen, in dem Wort illá, aus dem das Mohammadun Rasúlu 'Lláh hervorgeht."
(Anm. von Ju-Hu: Mohammed gilt im Islam nicht nur als die historische Persönlichkeit im frühen 7. Jahrhundert, sondern symbolisch als "das Beste" in jedem einzelnen Mann und in jeder einzelnen Frau hier und jetzt, sozusagen als der gottesbewusste Anteil an der Überseele, der aber niemals um Segen angerufen wird, sondern stets vom Menschen aus gesegnet wird: "Mohammed, Gott sei seiner Seele gnädig.")
Die andere allerwichtigte Formel im Islam, die Anfangsworte des Korans, auch Basmalah genannt, lauten:
"Bismilláh Ar-Rahmám Ar-Rahím", bzw. "Bismilláh Ir-Rahmán Ir-Rahím", was bedeutet:
"Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Allerbarmers".
(Das sind bereits drei der 99 Namen Allahs für den Tasbih...)
Frithjof Schuon sagt dazu:
"Die göttlichen Namen Rahmán und Rahím, beide abgeleitet von Rahmah, "Barmherzigkeit, Erbarmen", bedeuten die Gott innewohnende Barmherzigkeit (der erste) und Sein äusseres Erbarmen (der zweite). Der erste weist folglich auf eine unendliche Eigenschaft hin und der zweite auf eine unbegrenzte Manifestation dieser Eigenschaft. Man könnte auch jeweils so übersetzen: "Schöpfer aus Liebe" und "Erretter aus Erbarmen" oder, indem man ein Hadith zum Vorbild nimmt, sie folgendermassen erläutern: Er-Rahmán ist der Erschaffer der Welt, insofern, als er von vorherein ein für allemal die Lebensvoraussetzungen auf Erden bereitet hat, und Er-Rahím ist der Retter der Menschen, insofern, als er der Welt die Glückseligkeit des Jenseits gewährt oder insofern er hier auf Erden dazu die Keime anlegt oder die Wohltaten austeilt.
In den Namen Rahmán und Rahím steht die göttliche Barmherzigkeit dem menschlichen Unvermögen gegenüber, in dem Sinne, dass das Bewusstsein unseres Unvermögens zusammen mit dem Vertrauen das sittliche Gefäss ist, welches die Barmherzigkeit empfängt, Der Name Rahmán ist wie der lichte Himmel und der Name Rahím wie ein warmer Strahl, der vom Himmel kommt und den Menschen belebt."
Ich hoffe, dass mit dem Missverständnis, ich würde hier den normalen 08/15-Islam propagieren oder einen "Synkretismus" mit ihm anstreben, ein für allemal aufgeräumt ist!
Anscheinend muss ich noch einmal wiederholen, dass in vielen islamischen Ländern die Sufis und Derwische (Es gibt Tausende völlig verschiedene Sufi-Traditionen und -Orden!) als "Ketzer" verfolgt werden. In Saudi-Arabien darf man nicht einmal das Wort "Sufismus" aussprechen, da man andernfalls offenbar die Todesstrafe riskiert!
Aber auch etliche Mystiker aus anderen Religionen wurden diffamiert und verfolgt. Meister Eckhart, der ja schliesslich Magister der Theologie und Dominikaner war, verschwand beim zweiten Inquisitionsprozess gegen ihn selbst spurlos auf dem Weg zum päpstlichen Schiedsgericht nach Avignon. Danach war er offenbar tot. Die Umstände sind völlig unbekannt. Mehrere Sätze aus seinen Büchern wurden verboten, z.B. der aus dem Kontext gerissene typische Satz eines in Wahrheit demütigen Mystikers: "Ich bin Gott."
Ein Jahr später veröffentlichte der Papst eine Bulle, in der es anscheinend auf Lateinisch heisst, dass "es einen Magister der Theologie aus deutschen Landen gegeben hat, Eckhart des Namens, der mehr Wissen wollte, als man soll."
Auch der einfache Schuhmacher Jakob Böhme wurde Jahrhunderte später von den Obrigkeiten der evangelischen Kirche von Görlitz auf das Übelste diffamiert, mit einem Publikationsverbot belegt, seine Bücher eingezogen und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Böhme wurde noch auf seinem Sterbebett von den Vetretern der evangelischen Kirche quasi "zu Tode" verhört.
Das Tragische ist, dass sich all diese Mystiker NIEMALS gegen ihre eigene Religion stellten oder sie auch nur anzweifelten.
Warum?
Weil Mystiker in ihrer jeweiligen Religion MEHR aufgehen: inniger, leidenschaftlicher, lebhafter als normale Gläubige, und dadurch auf den Urgrund, bzw. Ungrund vorstossen!
Damit stossen Mystiker bei den Mitmenschen jedoch auf Unverständnis, können ihrerseits aber nichts Schlechtes an den äusseren Glaubensdogmen finden, da sie die Symbolik der äusseren Dogmen nicht von der theologischen, sondern von der individuellen philosophischen Erkenntnis des Mystikers aus beurteilen.