Von Peitzschen und Tomatsky

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ticino1
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Von Peitzschen und Tomatsky

Beitrag von ticino1 »

Vor kurzem kam im Fernsehen ein Film, der vom zitierten Experiment inspiriert wurde. Vielleicht interessiert es jemandem:
Tagesanzeiger hat geschrieben:Medizin+Psychologie – 24. August 2007

«Jeder hat das Potenzial, zerstörerisch zu agieren»»
Was treibt den Menschen zur Niedertracht? Es ist die Macht der Umstände, sagt der Sozialpsychologe Philip Zimbardo.

Das Interview führte Hubertus Breuer


Als Philip Zimbardo vor drei Jahren die Bilder gefolterter Iraker aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis über den Bildschirm flimmern sah, war er schockiert. Überrascht war der 74-Jährige aber nicht. Vor mehr als 30 Jahren hatte er eine umstrittene und berühmt gewordene Studie der Sozialpsychologie unternommen: das «Stanford-Gefängnis-Experiment». Studenten wurden als Wärter und Insassen in ein Gefängnis gesteckt – ein Spiel, das mit Schrecken endete. In dem viel diskutierten, kürzlich in den USA erschienenen Buch «The Lucifer Effect» hat der seit 2003 emeritierte Forscher der Stanford University die These aufgestellt: Es ist die Macht der Umstände, die den Menschen lenkt.
Steckt in Ihnen ein Teufel, Herr Zimbardo?

Das würden Sie wohl gerne wissen – die Antwort ist «Ja». Sie selbst halten sich dagegen wohl für einen guten Menschen, der zu keiner Grausamkeit fähig ist. Aber jeder von uns hat das Potenzial, selbstsüchtig oder zerstörerisch zu agieren – wenn die Umstände es nur erlauben und fördern. Der Mensch ist also im Grunde böse?

Die menschliche Psyche ist komplex und formbar durch die Umwelt. Manche finden ein feindseliges Umfeld vor, in dem sie zu Helden aufsteigen wie Nelson Mandela. Wir alle können uns aber auch in Situationen wieder finden, die in uns einen Idi Amin oder Saddam Hussein wecken. Nicht, weil man bewusst Böses beabsichtigt, sondern akzeptiert sein will.
In Ihrem Buch erörtern sie die Frage, wie es kommt, dass gute Menschen Böses tun.

Ja, denn es scheint, dass wir aus unseren Fehlern nicht lernen. Ich habe 1971 ein Experiment durchgeführt – aus ethischen Gründen seither nicht wiederholt –, bei dem wir herausfinden wollten, welche prägende Macht Institutionen wie Haftanstalten über den Menschen haben.
Sie hatten freiwillige Studenten als Versuchspersonen ...

... ja, zwei Dutzend. Im Keller des Psychologie-Departments sollten sie vierzehn Tage lang in einem simulierten Gefängnis Wärter und Insassen spielen.
Was ist passiert?

Die per Los ausgewählten Wärter bekamen Uniformen, Handschellen und verspiegelte Sonnenbrillen. Die Gefangenen hatten ein langes, weisses Hemd an, sonst nichts. Am ersten Tag verlief alles ruhig – die Insassen mussten ein paar Liegestützen machen, das wars. Aber dann rebellierten einige Gefangenen. Mit Hilfe von Verstärkung unterdrückten die Wärter den Aufstand. Sie verweigerten ihnen das Essen. Legten ihnen Handschellen an und steckten sie in eine dunkle Kammer. Sie zwangen sie, sich nackt auszuziehen, und befahlen Analverkehr. Und die Situation begann auch von mir Besitz zu ergreifen – ich agierte wie ein Gefängnisdirektor.
Aber wie können Menschen so grausam handeln, wenn sie innerlich keine Neigung dazu verspüren?

Sie und nahezu jeder würde genauso handeln! Worauf es hier und andernorts ankommt, sind die sozialen Kräfte der Situation, die unseren Charakter beeinflussen. Das Aufsichtspersonal fühlte sich durch die Uniform und die Gefängniskulisse anonymisiert und so weniger verantwortlich. Auf Grund des Gruppenzwangs wollte ausserdem keiner der Wärter aus der Rolle fallen – sie identifizierten sich rasch mit ihr. Langeweile kam hinzu – Böses zu tun, bot Ablenkung. Schliesslich suggerierte meine Haltung, dass alles nicht Verbotene erlaubt sei. Nur körperliche Gewalt war untersagt.
Es gibt Forschungsergebnisse, die nahe legen, uns sei ein moralischer Instinkt angeboren. Wo bleibt der, wenn man Böses tut?

Es kommt zur inneren moralischen Ablösung. Herkömmliche Standards haben dann keinen Bestand mehr, man findet stattdessen neue Begründungen für das eigene Verhalten. Im Falle von Ladendiebstahl etwa, dass der Schaden niemanden persönlich, nur ein Unternehmen treffe. Man blendet negative Konsequenzen aus oder schreibt die Verantwortung Vorgesetzten zu. Manche schieben die Schuld an Verbrechen sogar auf ihre Opfer.
Der angeborene Sinn für Moral wird also ausgehebelt?

Es gibt keinen klaren Beweis dafür, dass Moral angeboren sei. Ich halte solche Argumente sogar für gefährlich, denn dann kommt man schnell dazu, böse Handlungen inneren Veranlagungen zuzuschreiben. Damit lenken wir ausserdem die Aufmerksamkeit von sozialen Faktoren ab.
Das klingt, als würde die Macht der Umstände das Böse in uns wecken.

Das könnten sie ebenso über das Gute sagen – unter bestimmten Bedingungen entpuppen Sie sich gewiss als selbstloser Mensch. Das Böse ist freilich besser erforscht. Bereits in Stanley Milgrams Experimenten von 1962 ging es darum, wehrlosen Personen auf Geheiss scheinbar Stromstösse zu verabreichen. Gleichgültig ob Frau oder Mann, sind die meisten bereit, die Stromstärke bis zur tödlichen Dosis zu steigern. Das zeigt, dass normale Menschen auf Grund von Autoritätshörigkeit zu Untaten fähig sind.
Sie haben als Sachverständiger für die Verteidigung für Sergeant Ivan Frederick ausgesagt. Ist er nicht schuldig? Auf den Folterfotos von Abu Ghraib ist er ja zu sehen.

Die Frage ist nicht, ob er schuldig ist. Es geht darum, ob das gefällte Urteil – acht Jahre – angemessen die Lage in Betracht zieht, die sein Verhalten beeinflusst hat. Frederick war vor Abu Ghraib ein amerikanischer Bilderbuchsoldat. Aber als Reservist hatte er keine Ausbildung, die ihn auf die Aufgabe in Abu Ghraib hinreichend vorbereitet hätte.
Entschuldigt Frederick das?

Nein, aber es macht sein Verhalten verständlich. Sie missverstehen offensichtlich, dass die Berücksichtigung des Umfelds einer Tat persönliche Verantwortung deswegen nicht zum alten Eisen wirft. Wir müssen die externen Faktoren kennen, um die Wiederholung solcher Verbrechen künftig zu vermeiden.
Wo verläuft für Sie die Trennlinie zwischen Verstehen und Freispruch?

Die Rechtsprechung muss reformiert werden. Wenn wir das Übel bei der Wurzel packen wollen, gilt es, die sozialen Ursachen zu beseitigen, die böses Handeln fördern: solche, die entmenschlichen, anonymisieren und durch Gruppenzwang ethische Überschreitungen fördern. Das alte, christlicher Theologie und der Medizin entstammende Modell, welches das Übel nur im Individuum sieht, muss ersetzt werden durch ein gesellschaftliches Programm, ein besseres Umfeld zu schaffen.
Das Gesetz anerkennt mildernde Umstände.

Das ist ein Feigenblatt. Auf Grund meiner Aussage hat Frederick vielleicht gerade einmal ein Jahr weniger Haft bekommen, obwohl die Situation womöglich 90 Prozent dazu beigetragen hat, dass er so abscheulich gehandelt hat.
Sind wir verdammt, immer wie Marionetten an den Fäden der Situation zu baumeln?

Nein, eine solche deterministische Sicht ist Unsinn. Die Situation lenkt uns in bestimmte Richtungen; aber wir haben auch die Freiheit, Situationen anders zu gestalten, das müssen wir lernen zu verstehen. Und natürlich gibt es auch Menschen, selten genug, die sich gegen das Unausweichliche auflehnen. Menschen wie Joe Darby, Reservist der US-Army, der mit den Bildern aus Abu Ghraib an die Öffentlichkeit ging. Er hatte die Bedeutung menschlicher Würde nicht vergessen.
[TA | 04.08.2007]
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Kothund
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Beitrag von Kothund »

Sie meinen bestimmt den Film "Das Experiment"!?
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Ge
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Beitrag von Ge »

Kothund hat geschrieben:Sie meinen bestimmt den Film "Das Experiment"!?
ja, der auch aber der hat wirklich nur sehr wenig mit dem wahren experiment zu tun.
er mag recht haben, ja...
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