Kategorie: Dossierartikel
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Kaum ein anderes nicht-musikbezogenes Thema ist in der Metal-Szene immer noch so klischeebehaftet führt zu langen Diskussionen wie "Frauen im Metal". Daher ist es an der Zeit, die Materie etwas pragmatischer zu betrachten und...

Kaum ein anderes nicht-musikbezogenes Thema ist in der Metal-Szene immer noch so klischeebehaftet wie "Frauen im Metal". Daher ist es an der Zeit, die Materie etwas pragmatischer zu betrachten und eine Fachperson, also jemand, der sich beruflich weitestgehend in diesem Themenbereich auskennt, zu Wort kommen zu lassen. Und wenn man jemanden sucht, der sich sowohl mit der Gender-Thematik, Metal und Musikgeschichte auskennt, dann führt kein Weg an Florian Heesch vorbei. Er, ist Vertretungsprofessor am Forschungszentrum Musik und Gender an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover uns hört privat selbst auch Metal. 2009 war Florian Heesch der Organisator des internationalen Kongresses "Heavy Metal and Gender", welcher auf grosses Medieninteresse stiess. Schwermetall hat Florian Heesch getroffen und mit ihm über Manowar, kulturelle Prägung und den Frust der Frauen gesprochen.

Schwermetall: Wie stehst du zur Aussage, dass Metal männlich sei?

Florian Heesch: Ich kann verstehen, wie diese Aussage entsteht. Ich hab' dazu ein Konzept, was männlich ist und was weiblich ist, entsprechend den kulturwissenschaftlichen Gender-Studies, dass beides kulturelle Konstrukte sind - in erster Linie. Ich würde das dann trennen vom biologischen Geschlecht. Das heisst, es ist eine kulturelle Konstruktion von Männlichkeit. Metal bedient sicher viele Aspekte von bestimmten Männlichkeits-Auffassungen, Typen-Konstruktionen, die es schon länger gibt und insofern kann man sicherlich sagen, dass wenn es so etwas wie einen Kern von Metal gibt, dann hat das mit Männlichkeit zu tun. Aber das ist dann eine Männlichkeit, die ich eben konstruiert empfinde. Und was ich überhaupt nicht unterstreichen würde - da widerspreche ich z.B. Deena Weinstein – dass es so etwas gibt wie eine Männlichkeit ohne Weiblichkeit. Also es gibt keine Metal-Männlichkeit, ohne dass es nicht auch irgendwo Weiblichkeit gibt. Diese geschlechtlichen Kategorien "männlich" und "weiblich", die sind komplementär, die gibt es nicht einzeln zu kaufen. Das heisst, dass wenn ich sage, "Metal ist männlich", dass irgendwo draussen aus dem Metal das ist, was das vermeintlich Weibliche ist. Aber warum ist es nicht im Metal mit drin?!

Schwermetall: Aber wenn man ehrlich ist, dann hatten Frauen zumindest sehr wenig Einfluss auf die Entstehung des Metal. Oder anders gesagt: Gäbe es keine Frauen, gäbe es trotzdem Metal.

Florian Heesch: Na gut, dann ist das ein Standpunkt, den man akzeptieren muss und nicht kritisieren darf. Ich würde ihn trotzdem kritisieren; ich sehe das überhaupt nicht so, dass es Metal auch gäbe, wenn es keine Frauen gäbe, denn Metal ist keine abgeschlossene Welt für sich. Das war es auch noch nie. Es gab auch immer ein Publikum. Sicherlich, das ist klar, Anfang der 70er-Jahre oder um 1970 rum, als das entstanden ist, was wir heute Heavy Metal nennen, da waren fast alle beteiligten Musiker Männer. Gut, aber für wen haben die gespielt? Da kann man jetzt nicht raus gehen aus der Welt und aus der Kultur.

Erst einmal bedeutet das (...) ja, dass Metal wie ein Männerbund ist. Männerbünde funktionieren durch Ausschluss von Frauen. Aber Männerbünde funktionieren auch nicht in einer Kultur, die ohne Frauen auskommt. Sondern die Exklusivität und die eigentliche Qualität beruht darauf, dass es eben auch Frauen gibt, von denen sie sich abgrenzen können.
Auch Distinktion über Stil und über ästhetische Merkmale funktioniert nun mal über Klischees, die geschlechtlich codiert sind. So funktioniert die ganze Rockmusik-Distinktion; dass das Echte, das Handgemachte, das Raue, das Aggressive, etwas eher Männliche, das sich vom vermeintlich eher weiblichen Pop-Song, was auch immer das nun ist, abhebt. Das gibt es auch schon länger, also eine Femininisierung der Massenkultur gegenüber der individuellen, durchaus auch elitären, aber auf jeden Fall qualitätvollen Kunst. Das gibt es auch auf allen Ebenen, es gibt es nicht nur in der Musik.
Es ist ein Standpunkt, der funktioniert glaube ich auch, der basiert auf verschiedenen Konstruktionen, auch auf historischen Gegebenheiten, die aber gar nicht so selbstverständlich sind. Man muss es auch einbetten in Rockmusik-Geschichte und es hat auch mit gesellschaftlichen Prozessen zu tun. Dass Rockmusiker um 1970 vor allem Männer waren, hat wieder etwas mit den bestimmten Eigenarten der britischen Amateur-Musiker-Szene zu tun.

Es ist schwierig, zu sagen, was das ist, was Metal ausmacht. Ist es wirklich das Männliche? Also ich glaube, es ist doch so was von heterogen, das Feld, und es gibt verschiedene Formen von Männlichkeit und die meisten davon finden sich auch im Metal. Und ich finde es interessant zu sehen, dass gerade jüngere Metal-Fans, aber auch Musiker sich davon zum Teil distanzieren, von diesem Machotum. Oder was soll denn das sein, eine "Metal-Männlichkeit"? Manowar zum Beispiel sind immer so das Stereotyp der Metal-Muskelmänner. Wenn du die dir aber mal anschaust; die sind glattrasiert, singen hoch, übernehmen zwar gewisse Klischees, aber andere auch nicht: Also z. B. stellst du denen die Typen von Amon Amarth entgegen, mit ihren Rauschebärten und Bierbäuchen, dann verkörpern die etwas, was auch männlich ist, aber als ganz andere Männlichkeit funktioniert. Was wir über männlich und weiblich denken, das sind kulturelle Konstruktionen, die werden performt, die werden aufgeführt. Da kommt man nicht raus. Ich mache das ja auch, ich führe ja auch meine Männlichkeit auf, schon alleine dadurch wie ich spreche, wie ich sitze, wie ich mich bewege. Das kann ich halt nicht auseinander nehmen, ich kann es reflektieren und es ist auch okay. Metal-Fans haben auch nicht die Aufgabe, das auseinander zu nehmen und zu dekonstruieren, aber wir als Wissenschaftler.

Schwermetall: Was ist denn selbst dein Bild der Frauen im Metal?

Florian Heesch: Auch sehr unterschiedlich. Ich glaube, dass es, genauso wie es nicht "die" Männlichkeit gibt, es auch nicht "die" Metal-Weiblichkeit gibt. Aber ich glaube schon, dass Frauen es nach wie vor schwerer haben im Metal. Das hängt auch mit diesem Klischee-Bild "Metal ist männlich" zusammen. Und auch mit Schwierigkeiten, akzeptiert zu werden als Musikerinnen. 2009 schrieb eine Journalistin im Metal Hammer mal dazu eine Kolummne, in der sie auch sehr ihren Frust abliess, so "wenn Frauen im Metal auftauchen, dann ist es immer Gothic Metal. Oder dann gibt’s die wenigen wie Angela Gossow oder Doro, die seit fast dreissig Jahren dabei sind."
Meine eigene Recherchen dazu haben auch ergeben, dass es viel mehr Frauen gibt, die dann aber auch immer vergessen werden. Also es gab ja auch schon vor Angela Gossow Frauen, die gegrowlt haben. Es gab ja auch diesen schönen Sampler "Awakening: Females In Extreme Music" wo man auch schon so Sachen hatte.

Ich schätze sie (Angela Gossow) sehr und finde, dass sie eine ganze tolle Screamerin ist, die eine grosse künstlerische Bandbreite hat. Sie hat eine beeindruckende Disziplin und lebt das auch sehr professionell, was sie da macht. Aber sie musste sich da auch erst einmal hochkämpfen und es gibt auch immer noch dieses "Gossow-Bashing", so ungefähr "die ist ja nur da, weil die gut aussieht" – das tut sie ja auch – aber da kann man schon mal ganz gut sehen, wie schwer der Stand ist und dass Frauen nach wie vor marginalisiert sind. Und dann gibt es da die verschiedenen Typen; was Gossow macht, ist das eine, was z.B. Liv Kristine macht, ist was ganz anderes. Dieser hyperfeminine Gothic-Stil, das muss man auch nicht gut finden, aber ich sehe das auch skeptisch – aus der Gender-Perspektive - und kritisch, weil das, was die von Leaves’ Eyes machen gerade diese Klischees von männlicher Aggression und weiblichem Schönsein und Schönsingen – wie die Schöne und das Biest - verkörpern. Das funktioniert aber offenbar gut und sie haben auch Fans

Schwermetall: Wenn wir schon gerade beim Thema "Die Schöne und das Biest" sind: Ein häufiges Klischee ist ja, dass Metal-Frauen entweder viel zu viel Wert auf ihr Äusseres legen oder sich sehr maskulin kleiden und verhalten.

Florian Heesch: Daran sieht man ja auch, wie sehr die Metal-Kultur auch in die Gesamt-Kultur, oder in eine bestimmte Kultur, eingebettet ist. Mal abgesehen vom Metal ist es interessant, sich einmal anzuschauen, wie das z.B. in Lateinamerika ist. Man hat da diese Bild von diesem "Latin Lover", diesem enormen Machismo. So hat man hier oft den Eindruck "Mensch, das ist voll die machistische Kultur und da werden die Frauen unterdrückt" usw. Aber es ist interessant zu sehen, dass die Frauen in dieser Kultur, die dann auch oft einen sehr femininen Stil fahren, aber auch ein enormes Selbstbewusstsein daraus ziehen. Das soll jetzt kein Plädoyer dafür sein, dass Frauen sich feminin kleiden sollen; das ist absolut individuell und da muss und darf Weiblichkeit alle Formen von Äusserungen durch Kleidung und Style usw. haben – wie Männlichkeit auch. Das wäre ja das Ideale finde ich, wenn alle unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung das tragen, sich kleiden könnte, wie es ihnen gefällt. Aber eben, da sieht man, auch anhand von dem, was du jetzt beschrieben hast, wie da eben die ästhetischen Wertvorstellungen von Männern, die auch in unserer Kultur so enorm tonangebend sind, da auch reinschwappen. An dieser Stelle ist die Metal-Kultur eben nicht besonders subversiv, mal vorsichtig gesagt. Es scheint ja doch so zu sein, dass viele Fans, männliche Fans zumindest, keinen Anlass sehen das zu hinterfragen.

Schwermetall: Was denkst du denn überhaupt, was der Hauptgrund dafür ist, dass es im Metal ein Geschlechterungleichgewicht gibt? Hat das wirklich hauptsächlich mit der geschichtlichen Entwicklung des Metal zu tun?

Florian Heesch: Metal kommt aus einem Zweig der Rock-Musik, der ganz viel mit diesem Authentizitäts-Ideal zu tun hat, was immer wieder mit Männlichkeit konnotiert worden ist. Es gab irgendwie so Leute wie Mick Jagger oder Robert Plant, sogenannte Cock Rock-Typen. Einerseits verkörpern die den Rock schlechthin und andererseits verkörpern sie auch Männlichkeit. Es sind einfach Stereotypen, die sich lange halten konnten und die im Metal auch nicht wirklich hinterfragt worden sind. Metal, das liegt wieder an der Musik, ist zum Teil so virtuos und kontrolliert von der ganzen Klanggestaltung der Songs, das ist einfach etwas, was Frauen weniger zugetraut wird, wo auch Gitarristinnen das grössere Problem haben, sich zu etablieren. Ja, das sind viele, viele Aspekte, die eine Rolle spielen, die aber offenbar in den verschiedenen Sub-Genres verschieden verhandelt werden. Für mich ist z.B. interessant, was jetzt in den Core-Genres passiert in neuster Zeit. Wo die einerseits, könnte man sagen, nicht mehr so dem Metal/Rock-Ideal folgen, so einige aufweichen. Aber offenbar ermöglichen sie auch mehr Frauen eine Beteiligung. Da gibt es aber auch noch viel zu untersuchen, wie so was passiert und auch wie das mit der Musik zusammenhängt. Das interessiert mich auch als Musik-Wissenschaftler, "kann man Männlichkeit in der Musik bestimmen?" zum Beispiel. Was ist mit den hochsingenden Männern der 80er Jahre? Eine merkwürdige Männlichkeit, die die da performen.

Schwermetall: Es gibt ja auch immer wieder Bands mit einer frauenverachtenden Haltung oder Texten. Hast du eine Idee, woher das kommt und ob es hauptsächlich nur eine Art der Provokation ist?

Florian Heesch: Nein, ich finde das sehr schwierig, zu erklären, woher das kommt. Ich beobachte das zuerst mal nur und ich finde es wichtig, wo man solch eine Form von Sexismus findet, dass man es sich ganz genau anschaut, was es ist. Also der Sexismus bei Manowar ist etwas anders als der (bei) Cannibal Corpse; das sind andere Zeichen, die verwendet werden, es ist eine andere Art von Gewaltanwendung, die da eine Rolle spielt. Ich glaube, man muss einfach immer von Fall zu Fall gucken "wer macht das und warum?". Und dann gibt es, denke ich, auch eine historische Entwicklung, also in den 80er Jahren ist Metal auch in der Öffentlichkeit noch wahrgenommen worden als ein Genre, das ziemlich viel Sex thematisieren würde. Ich finde das aufs grosse Ganze betrachtet ein marginales Thema in jeder Form. Aber es ist natürlich etwas, was in dieser Rock-Ästhetik schon angelegt ist. Wenn man so weit geht und sagt "woher kommt die ganze Rock-Musik?", dann gibt es die Thematisierung von Sex und durchaus auch Sexismus ja auch schon im Blues und Rhythm & Blues. Komischerweise gibt es dann diese merkwürdigen Sachen, dass eben bei Bands wie Cannibal Corpse es anscheinend nötig ist zu sagen, das sei ja alles nur Fiktion, genau wie die Monster, die sie in ihren Alben thematisieren, alles nur inszeniert und überhaupt nicht ernst gemeint. Ich finde es trotzdem wichtig, dass man kritisch damit umgeht. Ich meine, eine sexistische Abwertung von Frauen bleibt eine sexistische Abwertung von Frauen, auch wenn sie fiktiv ist. Und irgendwie müssen ja auch Frauen damit umgehen.

Schwermetall: Aber es gibt aber auch die Seite, dass man Frauen im Metal prinzipiell abwertet. Also, man nimmt sie einfach nicht für voll, oder?

Florian Heesch: Man nimmt sie auch gar nicht wahr, oder? Oder es gibt auch das gar-nicht-Thematisieren. Ich habe mich viel mit Manowar beschäftigt: In diesem aktuellen Projekt "Asgard Saga" arbeiten Manowar mit dem Fantasy-Autor Wolfgang Hohlbein zusammen. Hohlbein schreibt einen Roman über dieses Thema, also in diesem Fall über den Donnergott Thor und darüber schreiben Manowar auch Songs. Und das interessante ist, wenn man das mal vergleicht - im Blick auf Gender - wie der Roman aussieht und wie dieses Album aussieht, das Manowar gemacht haben. In dem Roman kommen Frauen und Männer beide vor. Klar, der Protagonist ist ein Mann. Aber durchaus auch starke Frauenpersönlichkeiten. In Hohlbeins Publikum sind ja auch viele Teenager dabei und ich denke, dass sich auch viele Mädchen identifizieren können. Und es kommen auch negative Frauenfiguren vor, das macht ja aber nichts, man kann ja auch dialektisch damit umgehen als Leserin oder als Leser. Aber bei Manowar kommen überhaupt gar keine Frauen vor. An einer einzigen Stelle, in einem einzigen Song gibt es etwas, da wird eine Mutter erwähnt. Und dann machen die einen Song, der "The Father" heisst und dann wird der noch in 16 andere Sprachen übersetzt; diese Vater-Sohn-Geschichte, das ist so eine männliche Gesellschaft oder Gemeinschaft viel eher, die da konstruiert wird. Dieses Männerbündlerische findest du ja auch bei andern Bands wieder. Bathory könnte man da noch zitieren; es ist ein ganz anderer Stil, aber man hat da auch diese Idealisierung von Männer-Gemeinschaften ohne Frauen. Ist das eine Abwertung? Hmm, weiss ich nicht, aber deine These "Metal ist männlich" kann eigentlich ganz gut zeigen, inwiefern das auch gemacht wird, dass Metal so männlich ist. Weil es immer wieder gefeiert wird: Metal Warriors als eine Brotherhood Of Metal. Interessant ist, dass dann so Frauen wie Doro Pesch oder auch Sabina Classen, die besingen ja auch eine Metal-Gemeinschaft in vielen Songs: "All We Are", der Klassiker, oder "Bloodbound Of The Damned". Aber das sind eher geschlechtlich neutrale Gemeinschaften, die die besingen. Und das finde ich schon interessant, wie da offenbar in der Hinsicht Männer und Frauen sich verschiedene Welten bauen.

Zur Abwertung: Ich habe keine richtige Erklärung, denn für eine richtige Erklärung bräuchte man vielleicht wieder Psychologie oder so etwas, oder Psychoanalyse. Da will ich gar nicht so darauf einsteigen, aber mich interessieren immer diese Phänomene. Ich komme da natürlich von der Musik her, die Texte und die Alben und wie die gestaltet sind, wie das Ganze so daher kommt. Und das (Anm. der Redaktion: Abgrenzung) fällt einem doch hie und da auf. Es fällt einem halt einfach Sexismus auf, es fällt einem Abwesenheit von Frauen auf. Und ich finde, man muss das thematisieren, also jetzt so für mich als Wissenschaftler, das zu beschreiben und auch zu kritisieren, da bleibt mir gar nichts anderes übrig.

Schwermetall: Ein häufiges Klischee ist, dass Frauen gar keine Ahnung von Metal haben und auch nie Platten usw. sammeln. Aber ist es nicht auch einfach so, dass es in den Männer-Genen liegt, zu Sammeln und dann auch ein wenig mit seiner Sammlung zu "prahlen"?

Florian Heesch: Dann kommt dieser Wettstreit-Aspekt hinzu, ja genau. Männerforscher wie Gerald Hüther, der ein spannendes Buch hat, der selber von der Neurologie kommt, ich finde ihn sehr interessant. Ich habe da sonst als Kulturwissenschaftler mit Neurowissenschaften sonst nicht so viel zu tun, aber der ist einer von der Sorte, die auch sagen "mal sehen, wo hören die biologischen Determinanten auf und wo fängt dann anderes an, was in der Sozialisation passiert, was in der Kultur passiert". Eine wichtige Sache wenn du von "Männer-Genen" sprichst, Hüther sagt: Genetisch unterscheiden sich Männer und Frauen gar nicht so, oder auch fast gar nicht, es ist also insofern eine Frage der Chromosomen und der Hormone. Und dann passiert eben was schon ziemlich früh im Gehirn; welche Bereiche werden gefördert, welche werden bei Jungs gefördert, welche werden bei Mädchen gefördert. Und da kommt die Kultur, die Erziehung, die Sozialisation schon an früher Stelle ins Spiel. Welche Spiele fördern wir, bewusst oder unbewusst, bei Kindern. Ich habe selber Kinder, ich habe einen Sohn und eine Tochter, die sind sehr unterschiedlich, sie sind unterschiedliche Charaktere, aber die sind auch als Mädchen und Jungen unterschiedlich. Es ist aber manchmal durchaus widersprüchlich in welcher Form. Aus irgendwelchen bestimmten Gründen, die aber auch in unserer Kultur verankert sind, lernen Mädchen und Frauen eher sozialen Umgang, entwickeln in der Regel bessere soziale Kompetenzen. Und Jungs und Männer lernen diese Kompetenzen viel schlechter. Das ist auch zunächst einmal ein Manko, aber sie kompensieren das mit anderen Sachen. Sie lernen ihr Selbstbewusstsein weniger aus sozialem Umgang, aus sozialen Kontakten zu beziehen, sondern eben Wettstreit-Elementen. Und das ist auch etwas, was an jeder Ecke gefördert wird. Zu einem ganz kleinen Teil ist da vielleicht Biologie im Spiel, aber man ist selbst überrascht, das kann ich auch schon aus der Erfahrung als Vater sagen, in welcher Form man dann doch bestimmte Sachen bei seiner Tochter anders unterstützt als bei seinem Sohn. Und dieses – woher es auch immer kommt – Wettstreiten, dieses Sammeln, das sind Sachen, die werden kulturell stark unterstützt, dass Männer solche Sachen machen. Die Männer beziehen daraus grosses kulturelles Kapital in verschiedenen Bereichen, wenn sie sammeln, wenn sie sich im Wettkampf miteinander messen. Und es ist auch einfach eine sehr etablierte männliche Praxis; ich kann mich damit selber meiner Männlichkeit versichern, wenn ich das tue, wenn ich eine grosse Sammlung vorweisen kann. Seit es Rock-Musik als solche gibt gehört das dazu.

Waren aber Rock-Musik-Kritiker zunächst fast ausschliesslich männlich diejenigen gewesen, die darüber schreiben und sie sind die Nerds gewesen und sind es bis heute zum grossen Teil. Also das sind auch einfach schon so Strukturen da. Wenn eine Frau, ein Mädchen, heute ein Interesse hat in dem Fall, kann sie nicht einfach so diesem Interesse folgen, das ist nicht selbstverständlich, sondern dann macht sie eigentlich was anderes. Und das ist nicht unbedingt, weil sie jetzt von ihrer Chromosomen-Konstellation eine Frau ist und bestimmte Geschlechts-Merkmale hat, sondern einfach weil wir es auch so gewohnt sind; es wird jemand begünstigt oder auch marginalisiert nach Geschlecht.

Und dann kommt eine Sache dazu, die hat einen biologischen Hintergrund, aber noch einen viel, viel stärkeren kultursoziologischen, nämlich die Rolle in der Familie. Also es passiert jungen Frauen einfach regelmässig, dass sie ab dem Zeitpunkt, an dem sie eine Familie gründen und Mutterrollen einnehmen, ihre Hobbies enorm reduzieren. Während Männer in der Regel immer noch versuchen, so viel wie möglich von ihren Hobbies auch noch als Vater auszuüben. Und das ist eine Wertefrage. Es ist gesellschaftlich total akzeptiert, dass ein junger Vater weiterhin all seinen Hobbies nachgeht und bei einer Frau, die hat gerade ein Kind bekommen und die will wieder Fussball spielen – sage ich jetzt mal bewusst – dann wird die vielleicht schräg angeguckt oder ist eine Rabenmutter weil sie sich nicht um ihr Kind kümmert. Was ist daran Biologie? Nix, für mich überhaupt nichts. Das sind Werte, die noch dermassen massiv in unseren Kulturen und Gesellschaften vertreten werden. Wenn das erst mal alles so gleichberechtigt wäre, und es dann immer noch einen Unterschied gäbe, dann wäre ich gerne bereit, zu sagen "okay, das muss jetzt an der Biologie liegen". Aber in diesem Bereich sind wir noch so weit davon entfernt von wirklicher Gleichberechtigung, einer wirklichen Freiheit, unabhängig vom Geschlecht zu entscheiden, was ich machen möchte. Da ist politisch einfach noch enorm zu tun. Das eben schlägt sich dann an der Stelle, in dem nieder, was Metal ist. Was Metal für Frauen anders ist als für Männer. Das ist auch bei Fussball, bei vielen anderen Freizeitbeschäftigungen auch so; ob es Sport ist oder viele andere Beschäftigungen, die so eine intensive Hingabe auch erfordern.

Schwermetall: Aber gibt es etwas, was die Frauen ändern könnten? Oder etwas, was sie vielleicht noch falsch machen?

Florian Heesch: Na ja, was machen die Frauen? Die Frauen, die sollten glaube ich, das, was sie wollen, das, für das sie sich interessieren, auch verfolgen. Und sie haben es schwerer; sie müssen sich darauf einstellen, dass es an irgendeiner Stelle zu Konflikten kommt. Diese Konflikte können auch in einer heterosexuellen Paarbeziehung entstehen und werden da entstehen. Und das sind Sachen, die verhandelt werden müssen und Frauen sollten sich darauf einlassen. Ich finde, Männer müssen das genauso auch kapieren und müssen sich ebenso darauf einlassen. Aber da sind die Frauen gefragt, dass sie diese Konflikte austragen und dass sie bereit sind auch gegenüber einem Partner und auch gegenüber möglicherweise ihren Eltern, ihrer Familie und ihrem sonstigen sozialen Umfeld, ihrem Arbeitgeber oder auch Leute in der Szene, in der sie sich bewegen, zu vertreten "Ne, ich will das machen, ich will Platten sammeln, ich will in einer Band spielen, das interessiert mich". Und vielleicht "klar, ich will aber auch Familie haben, aber das ist okay, ich darf beides". Warum denn nicht? Warum soll denn eine junge Mutter nebenbei nicht noch in einer Band spielen?! Das machen ja Musikerinnen in anderen Genres auch. Und Gott sei Dank sind wir doch schon auch so weit mittlerweile, dass es allmählich immer mehr auch zum gewohnten Bild auch mal gehört. Aber ich glaube, dass Frauen Mut brauchen, das durchzuziehen. Sie müssen sich vielleicht auch gegenseitig untereinander diese Netzwerke suchen, sich Mut machen gegenseitig, den Austausch suchen, das, was Frauen gut können in der Regel, das nutzen, dieses Potential zum sozialen Kontakt, auch in der Richtung sich Mut zu machen. Auch mal auszutauschen "hier, das funktioniert nicht" oder "mein Freund akzeptiert nicht, dass ich jetzt an dem Abend meine Bandprobe habe, dass er dann aufs Kind aufpassen muss". Ne, nimm es nicht hin, würde ich sagen, tausch' dich mit deinen Freundinnen aus, denen es genauso geht, macht euch Mut und der Freund muss sich bitteschön darauf einlassen. Ich lebe ja auch in einer Beziehung und wir verhandeln dauernd, verhandeln alles Mögliche. Gewisse Sachen passieren einem einfach. Das ist dann fast schrecklich als Gender-Forscher; es passieren einem auch traditionelle Dinge, also, dass man auch einfach in traditionelle Rollen hinein geht. Für mich, aber auch mit meiner Frau zusammen, muss einfach immer klar sein, dass es jetzt eine Verhandlungsbasis ist. So wie das Modell jetzt läuft, wer, wann, wie viel Zeit für was hat, das ist überhaupt nicht naturgegeben, das hat nicht mit unseren verschiedenen biologischen und kulturellen Geschlechtern zu tun, sondern das haben wir uns jetzt so überlegt.

Schwermetall: Gibt es Musikerinnen, die du besonders gut findest und empfehlen kannst? Du hast vorhin ja bereits ein paar Mal Arch Enemy angesprochen.

Florian Heesch. Ja, ich habe es mir auch bewusst gesucht und für einige Forschungsprojekte und auch mal für die Tagung, die wir gemacht haben; ich habe einige Sängerinnen eingeladen und habe grosses Glück gehabt, mit Angela Gossow mehrmals gesprochen und mit ihr regen E-Mail-Kontakt zu haben – auch in Zusammenhang mit dem Artikel, den ich geschrieben habe. Zusammen mit Britta Görtz, die noch nicht so bekannt ist, von einer jungen Hannoveraner Band, Cripper, die auch in meinem Seminar war. Wir hatten an der Tagung auch Sabina Classen und Doro Pesch da. Das sind vier tolle Sängerinnen finde ich. Ich schätze die jede auf ihre Weise, was die musikalisch machen. Und die haben jede auch ihre Geschichte. Sie konnten damals bei der Tagung 2009 auch gut erzählen, wie das ihnen als Frau auch anders ergangen ist. Eine Erzählung, die fast alle hatten, war die: Sie wurde am Anfang von andern geradezu darauf gestossen, dass sie eine Frau sind in der Metal-Szene. Und wollten zunächst einfach nur Metal machen. Und da konnte man auch Generationen-Unterschiede beobachten. Dass eben Sabina und Doro, die das schon seit den 80ern machen, noch auf ganz andere Widerstände gestossen sind, auch von Rock-Journalisten usw., als die jungen Frauen von heute, die schon eher akzeptiert sind. Aber sich auch mit so etwas auseinander setzen müssen, wie wenn man wie Angela Gossow so bekannt ist, dass dann vielleicht eine Anfrage vom amerikanischen Revolver Magazin für "Hottest Chicks In Metal" kommt (wo sie nein gesagt hat).

Ich denke, dass Frauen, die in dem Bereich aktiv sind, sich wahrscheinlich auch gegenseitig unterstützen müssen – wie immer. Männer müssen das auch tun, aber das fällt in dem Feld leichter. Diese Frauen sind alles welche, die sich auch Vorbilder, sowohl Frauen als auch Männer, gesucht haben und suchen, und auch sehr authentisch leben.

Schwermetall: Vielen lieben Dank, Florian, dass du dir die Zeit für dieses Gespräch genommen hast!

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