Kategorie: Konzertbericht
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Konzertberichte vom 13.07 und 14.07 aus Rostock. Konzertwochenende in Rostock

13.07

Als begeisterter Jünger der härteren Klänge hat man es in Rostock nicht einfach. Die richtig grossen Bands werden wohl nie an die Ostsee kommen und die vielen "kleinen" verirren sich auch selten hierhin. Und daher wirkte im ersten Moment die Ankündigung für dieses Wochenende, dass sich gleich zwei Genre-Grössen hier die Klinke in die Hand geben werden, wie der schlechte Witz eines barbarischen Werbegestalters. Saint Vitus am Samstag und Exodus + Anhang am Sonntag in den beiden relevanten Clubs, dem Mau und der Zuckerfabrik.

14.07 – Saint Vitus, Spirit Descent, Grisu

Grisu

Gitarre, Bass, Schlagzeug. Ein Mikrofon ist zwar aufgebaut, aber interessieren scheint das niemanden der drei Musiker auf der Bühne und schnell merkt man, dass Gesang hier sowieso überflüssig ist. Grisu spielen Psychedelic Rock, mit Sludge und Doom Einflüssen und begeistern ab der ersten Sekunde des Sets. Die Songs sind hypnotisch, steigern sich stetig, sind ruhig und brachial zugleich.
Was nicht unerwähnt bleiben sollte und was bei mir für absolutes Staunen gesorgt hat. Der Gitarrist hat eine Unterarmprothese. Richtig gehört. Seine Schlaghand ist mit zwei, ich würde sagen es waren Dornen bestückt. Dadurch entsteht ein ungewöhnlicher Gitarrensound, der der Band diesen einzigartigen Klang verleiht.
Auf Soundcloud kann man sich das letzte Album komplett anhören. Anspieltipp: "Christian"

Spirit Descent

Die ruhige, wuchtige Soundwand, die Grisu aufgebaut haben ist verklungen und nach kurzer Umbauzeit geht es weiter mit Spirit Descent aus Lübeck. Direkt ist viel mehr Bewegung auf der Bühne. Zwei Gitarristen, Basser, Sänger und Drummer zocken ein routiniertes Set herunter, das im weitesten Sinne als Doom zu bezeichnen ist, doch dafür schon recht schnell wirkt. Ich bin kurz und ehrlich: mir hat es nicht gefallen. Der Gesang variierte meiner Ansicht nach planlos zwischen halbgaren Growls und gutem Klargesang. Die Bandmitglieder hatten keine Ahnung, wie sie sich auf der zugegeben etwas zu kleinen Bühne, bewegen sollten, so kam absolut keine Dynamik auf. Die teilweise guten Songs, die sich im Set von der Qualität her dennoch gesteigert haben, wurden durch einen nicht durchdachten Auftritt der Herren aus Lübeck kaputt gemacht. Schade.

Saint Vitus

Saint Vitus ist weit davon entfernt nur eine dieser Bands zu sein, die eine halbgare Reunion durchziehen, weil das Geld knapp geworden ist. Die Mitglieder stehen hinter der Sache und zeigen mit ihrem ersten Album seit 17 Jahren, wie Doom klingen muss. Ohne die Rückkehr von Wino für mich undenkbar, dass sie heute so noch existieren würden und dass die Band nicht nur von ihren alten Sachen lebt zeigt, dass es vier Songs aus dem neuen Album an diesem Abend gespielt werden und gefeiert werden.
Im Mau Club ist es einigermassen voll, als die Band loslegt und zwei Fans es sich in der ersten Reihe mit einem grossen Sessel gemütlich gemacht haben, der aus einer Nische herangezogen wurde. Unter Protest von Drummer und mit Beihilfe des Roadies wird dieser aber schnell beseitigt.
Wino singt sich die Seele aus dem Leib, Dave Chandler bearbeitet seine Gitarre in bester Jimi Hendrix Manier (nur das Feuer fehlt) und der erwähnte Drummer, Henry Vasquez, der seit drei Jahren die Felle bei Saint Vitus bearbeitet, zeigt, dass man auch beim Schlagzeug spielen headbangen kann. Nur der Basser, Mark Adams, hält sich im Hintergrund, doch achtet man auf ihn länger so merkt man, wie vertieft er in sein Instrument ist. Besonders "Let Them Fall" vom neuen Album "Lillie: F-65" entpuppt sich live als ein geniales Stück, das ab jetzt wohl öfter gespielt werden wird.
Nach der Bandhymne "Saint Vitus" wird die Band vom Rostocker Publikum nochmals gefordert und spielt von ihrem Klassiker Album "Born too Late" noch den gleichnamigen Titeltrack sowie "Dying Inside", bei dem Dave Chandler von der Bühne steigt und jedem willigen seine Gitarrenhals an den Kopf reibt. Wenn das nicht mal eine schöne Phallus-Metapher ist.
Als die letzten Töne verklungen sind, sind alle glücklich. Ein grossartiger Abend geht zu Ende und eine Menge nimmt einen Tinnitus mit ins Bett.

Setlist Saint Vitus

Blessed Night
I Bleed Black
Clear Windowpane
Let Them Fall
Bleeding Ground
Living Backwards
Look Behind You
Waste of Time
White Stallions
Mystic Lady
Saint Vitus
--------------
Dying Inside
Born Too Late

Nach dem Konzert kommt die Band raus, trinkt Bier mit den Fans, schreibt geduldig Autogramme, macht Fotos und beantwortet Fragen. Das lasse ich mir nicht nehmen, denn ich will endlich wissen, warum Wino scheinbar ständig in Rostock ist. In den letzten zweieinhalb Jahren war er hier mit seinem Solo-Projekt, mit "Premonition 13" und hat diverse Auftritte mit dem Musiker Conny Ochs hier gehabt. Er sagt, dass ihm die Küste hier gefalle. Besonders die Insel Rügen und ausserdem habe er mit Conny einen guten Freund hier mit dem er grossartige Musik schreiben kann. Ausserdem würden sich die Rostocker auch freuen, wenn sie mal gute Bands sehen würden.
Und noch eine Anmerkung am Rande. Vor dem Auftritt von Saint Vitus, draussen noch eine rauchen, frische Luft schnappen, kommt auf einmal ein Typ an, Zettel und Stift in der Hand, er mache eine Umfrage zu einem Vortrag, es geht um politische Bildung oder so etwas in der Art, und fragt "Woher kommst du und wer ist dein/e LieblingspornodarstellerIN?" Er versucht ein grosses Profil für seinen Vortrag zu erstellen und auch die Bands sind nicht davor sicher. Dave Chandler rief zu seinen Bandkollegen vollkommen verwundert: "This crazy german just asked me who my favourite porn-actress is." Diese Frage wird mich auch am kommenden Tag begleiten.

15.07 – Exodus, Suicidal Angels, Warbringer

Die Dröhnung von gestern ist verdaut, der Kaffee ist dringeblieben, aber ein dumpfes Gefühl auf den Ohren ist immer noch da. Abends geht es dann auf in den Aussenbereich von Rostock zur Alten Zuckerfabrik. Der Metal Hammer schrieb 2010 zum ersten Triptykon Konzert, welches ebenfalls hier stattfand: "Wo spielen die?" Und sie haben Recht, ohne Navi oder Ortskenntnis ist man wirklich aufgeschmissen, denn Schilder gibt es nicht und das Gelände insgesamt sieht nicht so aus, als wenn hier überhaupt noch Menschen leben würden. Auf der Fahrt, natürlich mit dem Rad, sehe ich einige Autos mit unterschiedlichsten Nummernschildern aus Mecklenburg. Scheint so, als würden Exodus wirklich viele Leute aus ihren Löchern ziehen. Der Eindruck wird sich später bestätigen. Es ist voll! Nicht so voll, wie damals bei Six Feet Under, 2009, aber um die 200 Leute werden es auf jeden Fall sein. Davon, wie könnte es auch anders sein, viel junges Publikum. Thrash Metal, Kutten und Bier sind auch nach 30 Jahren des gemeinsamen Bestehens gute Verbündete für Jugendliche, die keinen Bock auf Popmusik haben.

Warbringer

Um kurz vor neun ruft der Sänger von Warbringer in den Innenhof/Biergarten, dass die Leute doch gefälligst ihren Arsch in den Saal schwingen sollen, gleich geht’s los. Und wie Warbringer loslegen. Die Jungs aus Kalifornien legen ohne Intro oder Kompromisse direkt los und lassen die ersten Matten kreisen. Ab dem dritten Song fangen die ersten zögerlichen Mosh-Pits an und zum Ende des Sets ist der vordere Teil der Halle fest in der Hand von ebendiesem. Warbringer sind technisch versiert und live eine Wucht, doch irgendetwas fehlt. Die Songs sind zwar eingängig, aber auch genauso schnell wieder vergessen und verschwimmen in der Erinnerung zu einem Einheitsbrei. Warbringer fehlt (noch) der nötige Groove, die Songs sind aggressiv, haben Power, sind technisch genial, aber mehr leider nicht. Doch die Zuckerfabrik verlangt nach mehr, zu lange hat man in Rostock gewartet, und Wabringer spielen zum Schluss eine ziemlich gute Coverversion von dem Motorhead Klassiker "(We Are) The Roadcrew" das mich dann auch versöhnlich stimmt. Ich hoffe sie steigern sich mit ihren nächsten Alben, das Potential haben sie.

Suicidal Angels

Die Thrasher aus Griechenland spielen dann da auch schon in einer ganz anderen Liga. Die Songs haben mehr Groove, den ich bei Warbringer vermisst habe und auch die Spielfreude ist ihnen anzusehen. Der Gitarrist springt dann auch schon Mal selbst ins Publikum, um alles für eine "Wall of Death" vorzubereiten, die dann auch einigermassen gut funktioniert. Suicidal Angels, hier sollte man lieber keine Abkürzung verwenden, sind famos drauf und Songs wie "Reborn in Violence", "Suicide Solution" und "Moshing Crew" verursachen in Rostock pure Glücksgefühle. Die Posen sitzen, die Matten schwingen, alles in allem richtig guter Thrash Metal. Mehr gibt’s dazu eigentlich nicht zu sagen. Wer Thrash liebt und sie nicht kennt, sollte unbedingt mal rein hören.

Exodus

Ich Hatte ich mich gefreut darauf, diese grossartige Band vor der Haustür zu sehen mit dem legendären Gary Holt, aber nichts da. Der feine Herr zupft aktuell lieber bei Slayer, denn Jeff Hannemann ist dazu immer noch nicht in der Lage. Dafür passiert auf dieser Tour eine kleine Sensation, denn Rick Hunolt, der 1983 Kirk Hammett ersetzte und sich 2005 von Exodus verabschiedet hatte, spielt auf dieser Tour wieder mit. Eine dauerhafte Rückkehr ist wohl zum aktuellen Zeitpunkt noch ausgeschlossen. Im Vorfeld musste man sich daher auch wohl Gedanken machen, was denn für Songs für die Tour anstehen und siehe da, die letzten vier Alben von Exodus, die einzigen, die Rob Dukes eingesungen hat, werden komplett ignoriert. So besteht die Setlist zu grossen Teilen aus dem legendären Debut "Bonded by Blood" und der 2004er Grosstat "Tempo of the Damned", das letzte Album mit dem erwähnten Gitarristen.
Von Anfang an gibt es keine Kompromisse, Rob fordert die wilde Meute dazu auf, den Moshpit bloss nicht aufhören zu lassen, Rick Hunolt spielt als wäre er niemals aus der Band ausgestiegen und Tom Hunting, dem einzigen Original Mitglied auf der Bühne, drischt dermassen auf sein Drumkit ein, dass man schon Angst bekommen muss. Man bekommt den Eindruck, dass da eigentlich niemand auf der Bühne fehlt und eine Ansage von Rob Dukes, die zwar unverständlich ist, hört sich fast an wie eine kleine Schimpftirade auf Gary Holt. Aber dafür will ich hier nicht meine Hand ins Feuer legen. Ein paar Songs vor Schluss wird dann noch der augenscheinlich jüngste Fan an diesem Abend, der mit seinem Vater hier ist, auf die Bühne geholt. Der Junge war 13 und Mr. Dukes huldigt ihn mit den Worten als "The next Generation of Thrash Metal".
Der vorletzte Song bildet dann den absoluten Höhepunkt meiner Ansicht nach, denn einen grösseren Moshpit habe ich in Rostock noch nie gesehen. Bei "The Toxic Waltz" tobt alles und jeder. "You just run around, if someone falls you help ’em up" ist das Motto.

Setlist Exodus

The Last Act of Defiance
Iconoclasm
Piranha
Shroud of Urine
Metal Command
And Then There Were None
A Lesson in Violence
Blacklist
Pleasures of the Flesh
Scar Spangled Banner
Bonded by Blood
War Is My Shepherd
The Toxic Waltz
Strike of the Beast

Rostock ist bekannter weise nicht sehr gross. Daher sieht man irgendwie immer wieder die gleichen Menschen, besonders bei Metal-Konzerten. Daher verwundert es auch nicht wirklich, dass mir Leute von gestern Abend begegnen und ich an der Bar wieder angesprochen werde, ob *********** immer noch meine Lieblingspornodarstellerin sei. Seine Umfrage läuft gut, Metalfans scheinen bei so etwas offene Menschen zu sein und auch die Bands geben bereitwillig Auskunft. Das wäre doch auch mal eine Interessante Frage generell für Interviews, statt immer diesen absolut langweiligen Standardfragen.

Fazit

Grossartiges Konzertwochenende in Rostock. Für jeweils 20€ die Karte ein fairer Eintrittspreis um zwei grandiose Headliner zu sehen. Dazu zwei durchwachsene und zwei richtig gute Vorbands. So etwas sollte es öfter in Rostock geben, nicht nur alle Jubeljahre.

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