Peter Tägtgren hat mal gesagt, dass die Stärke von Hypocrisy in den Midtempostücken liegt. Damit dürfte er auch die Meinung vieler Rezensenten vertreten, denn wenn irgendwelche Klassiker der Band aufgezählt werden, dann sind es sehr oft Titel wie "Apocalypse", "Roswell 47" oder "A Coming Race", um ein paar Beispiele zu nennen. Die ganz grossen Schritte in Bezug auf musikalische Weiterentwicklung haben Hypocrisy wohl mit "The 4th Dimension" (1994) und "Abducted" (1996) vollzogen, zwei Alben, die nicht nur der Band selbst sondern auch dem gesamten Genre richtungsweisende Impulse gaben und heute wie damals als grossartige Platten gelobt werden. Für Hypocrisy war es allerdings wohl nicht die beste Zeit. Peter Tägtgren's Erfolg als Produzent zeigte dem Mastermind neue Möglichkeiten auf, und sein Unmut über die fehlende Motivation seiner Bandmitglieder, Hypocrisy weiter nach vorne zu bringen, äusserte sich immer öfters in entsprechenden Aussagen an die Presse. Dann kam der Schock. Tägtgren kündigte an, mit "The Final Chapter" das letzte Hypocrisy Album zu veröffentlichen. Doch die Resonanz darauf war so überwältigend, dass Hypocrisy beschlossen, weiterzumachen. Ob jetzt "The Final Chapter" so verdammt gut war oder sich die Fans einfach nur glücklich schätzten, dass eine der wichtigsten Grössen im melodischen Death Metal Bereich auch in Zukunft mitmischen würde, das sei mal dahingestellt. Sicherlich, auf dem Album waren teilweise echte Supersongs vertreten, beispielsweise das genannte "A Coming Race", aber war es wirklich so stark, wie alle Welt behauptete? Die Karriere von Hypocrisy setzte sich mit der Live Scheibe "Hypocrisy Destroys Wacken" fort, welche zurecht als Killer bezeichnet wurde und auch in jedem Falle seine Berechtigung hatte, denn wer die Band mal live gesehen hat, weiss, dass Hypocrisy on stage schlichtweg brilliant sind. Das selbstbetitelte Nachfolgewerk zeigte Tägtgren's Mannen dann von einer sehr atmosphärischen und beinahe schon sanften Seite. Und spätestens an diesem Punkt musste man sich fragen, ob Hypocrisy selbst überhaupt noch wussten, wohin sie sich weiter bewegen wollten. Auch im Falle des selbstbetitelten Albums hatten man ein paar tolle Stücke abgeliefert, zum Beispiel "Fractured Millennium". Aber auch hier gab es verschiedene Meinungen darüber, ob das Album als Ganzes wirklich genauso stark war wie ein "4th Dimension" oder ein "Abducted".

Sicherlich, die beiden ersten Werke "Penetralia" (1992) und "Osculum Obscenum" (1993) werden immer wieder als absolute Hypocrisy Höhepunkte angeführt, und bestimmt waren die beiden Releases für diese Zeit auch überdurchschnittlich. Aber jetzt "Into The Abyss" als Rückkehr zu den Roots zu bezeichnen, und dabei gerne eines der beiden Erstlingswerke der Band als Vergleich anzuführen, wäre falsch. Wir sind nicht mehr die gleichen Menschen wie vor 10 Jahren, der Death Metal ist auch nicht mehr der gleiche wie damals, und natürlich haben sich auch die Leute von Hypocrisy verändert. Wenn jetzt auf "Into The Abyss" wieder kräftiger aufs Gaspedal getreten wird, dann sollte man das als eigenständige Angelegenheit sehen, und als solche überzeugt diese keinesfalls 100%ig, auch wenn's einem alten Hypocrisy Fan wie dem hier tippselnden Rezensenten fast das Herz bricht. Im Death Metal Bereich werden heutzutage extrem hohe Standards gesetzt. Einfach draufkleppeln, um vorne mit dabei zu sein, reicht schon lange nicht mehr. Und sorry, aber auf "Into The Abyss" sucht man Abholzer der Extraklasse wie beispielsweise "Killing Art" von Abducted vergeblich. Fündig hingegen wird man wieder mal im Midtempobereich. "Deathrow", "Unfold The Sorrow" oder "Fire In The Sky" sind wirklich mitreissende Metalsongs. Leicht angedüsterte und emotionsgeladene Stücke mit den typischen zweistimmigen Gitarren und den vorzügliche Keyboardbegleitungen, wie man sie von Hypocrisy kennt und liebt. Dazwischen ein Tägtgren, der kreischend der Welt sein Leid klagt. Sicherlich, es gibt auch ein paar gute, schnellere Stücke auf "Into The Abyss", aber bei einer Band wie Hypocrisy ist gut einfach nicht gut genug. Die grosse Zeit eines Peter Tägtgren ist ganz sicher noch nicht vorbei, aber vielleicht die der Band Hypocrisy. Natürlich werden die Medien auch dieses Mal wieder himmelhoch jauchzend die grossartigste aller Hypocrisy Leistungen ankündigen, und für den einen oder anderen unter Euch mag das sicherlich auch so stimmen. Aber kritiklos dieses "Into The Abyss" zu loben, nee. Irgendwann muss Schluss sein mit "heile (Hypocrisy) Welt".

Albuminfo

Punkte

 

0/5

Label

Nuclear Blast

Veröffentlichung

7/2000

Format

CD

Land

Genre

Death Metal