Mit "The Maldoror Chants: Old Ocean", dem zweiten Teil ihrer faszinierenden Serie, präsentiert die Schweizer Avantgarde-Band Schammasch eine tiefgründige, atmosphärische Fortsetzung, die nicht nur musikalisch, sondern auch konzeptionell an die düsteren, surrealistischen Werke von Comte de Lautréamont anknüpft. Dieses Album lässt die Hörer tief in einen Abgrund von metaphysischer Reflexion und existentiellem Schmerz eintauchen, während es gleichzeitig wie eine Hommage an die unermessliche, düstere Schönheit des Ozeans erscheint.
Wie bereits bei der Entwicklung von "Secrets of the Moon" zu beobachten, gehen auch Schammasch hier einen sanfteren Weg. Wo einst harschere Töne dominierten, treten nun Gothic-Einflüsse deutlicher hervor. Im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen, die auf ihren neueren Alben einen Großteil der Härte verloren haben, bewahren Schammasch jedoch ihre charakteristische Klasse und Tiefe. "The Maldoror Chants: Old Ocean" strahlt eine beinahe meditative Erhabenheit aus, die dennoch eine unterschwellige Wut und Intensität aufrechterhält, die in Black Metal-Traditionen verwurzelt ist.
Von der Eröffnungsspur „Crystal Waves“ an wird eine dichte, atmosphärische Klanglandschaft geschaffen, die die Weite und das Mysterium des Ozeans perfekt einfängt. Hier fließen düstere Synths, schwere Gitarren und zarte Akustikpassagen wie Gezeiten ineinander, die nicht nur die Sehnsucht nach dem Unbekannten symbolisieren, sondern auch die unaufhaltsame Kraft, die alles Menschliche überschattet.
Der vielleicht stärkste Moment des Albums findet sich in der Lead-Single „They Have Found Their Master“. Der Track ist ein monumentales Stück Musik, das sich langsam aufbaut, zunächst mit einem unheilvollen Puls, der von Kathrine Shepards ätherischen Vocals veredelt wird. Shepard, bekannt durch ihre Arbeit mit Sylvaine, fügt dem Stück eine fragile, geisterhafte Schönheit hinzu, die das Chaos und die Melancholie im Song verstärkt. Die letzte Phase des Songs explodiert schließlich in einer Welle von 90er-Jahre Black Metal-Furiosität, die einen intensiven Kontrast zu den ruhigen Momenten bildet. Schammasch beweisen hier, dass sie nicht nur in der Lage sind, Emotionen subtil zu transportieren, sondern auch die rohen, zerstörerischen Kräfte zu entfesseln, die den Ozean so gefährlich und faszinierend machen.
Thematisch verankert Schammasch das Album tief in den Texten von "Les Chants de Maldoror". Der Ozean dient als Metapher für menschliche Unzulänglichkeit und kleinliche Kämpfe. In „Your Waters Are Bitter“ und „I Hail You, Old Ocean“ geht es darum, sich in die Weiten des Meeres und damit in die ewige Leere zu stürzen, um sich von den Banalitäten des Lebens zu lösen. Diese Texte sind nicht nur bedeutungsvoll, sondern auch von einer düsteren Poesie geprägt, die sich perfekt mit der musikalischen Komposition verbindet.
Musikalisch setzt "The Maldoror Chants: Old Ocean" die Entwicklungen fort, die Schammasch bereits in ihren früheren Werken angedeutet haben. Sanfte Gothic-Melodien, atmosphärische Black-Metal-Elemente und vereinzelte Industrial-Soundscapes durchziehen das Album. Besonders beeindruckend ist der Einsatz von orchestralen Akzenten, die das Album monumental und geradezu filmisch erscheinen lassen. Akzente wie Akkordeons und klassische Instrumentierungen schaffen zusätzlich eine einzigartige Klangtextur, die den Stücken Tiefe und eine fast barocke Theatralik verleiht.
Die Produktion ist bis ins kleinste Detail durchdacht. Wie schon zuvor nahm Schammasch-Mastermind C.S.R den Großteil der Produktionsarbeiten selbst in die Hand. Unterstützt wurde er von Michael Zech (The Ruins of Beverast, Secrets of the Moon) und Markus Stock (Empyrium, The Vision Bleak), die das Album weiter veredelten. Das Ergebnis ist ein glasklares, aber dennoch erdiges Klangbild, das den musikalischen Kontrast zwischen Wut und Schönheit perfekt in Szene setzt.
Mit "The Maldoror Chants: Old Ocean" haben Schammasch nicht nur ein weiteres Kapitel ihrer musikalischen Reise aufgeschlagen, sondern ein Werk geschaffen, das eine einzigartige Mischung aus Post-Black Metal, Gothic und Avantgarde darstellt. Es ist ein Album, das in seiner Tiefe und Vielschichtigkeit wächst und viel Raum für Entdeckungen bietet. Die düsteren Hymnen an den Ozean und die menschliche Unvollkommenheit lassen Schammasch ihre Meisterschaft in der Symbiose von Musik und Poesie beweisen. "Old Ocean" könnte durchaus als eines ihrer bisher kohärentesten und eindrucksvollsten Werke betrachtet werden. Ein Muss für Fans des Genres, die sich nach einem Hörerlebnis voller Dunkelheit und Schönheit sehnen.
Albuminfo
Punkte |
5/5 |
|
Label |
Prosthetic |
|
Veröffentlichung |
10/2024 |
|
Format |
CD |
|
Land |
Schweiz | |
Genre |
Black Metal |
Tracklist
1. Crystal Waves
2. A Somber Mystery
3. Your Waters Are Bitter
4. They Have Found Their Master
5. Image of the Infinite
6. I Hail You, Old Ocean