Die majestätischen Weiten des Progressive Melodic Death Metal werden von wenigen derart eindrucksvoll geformt wie von der dänisch-färöischen Band Iotunn. Mit ihrem zweiten Album "Kinship" erhebt sich das Kollektiv, angeführt von dem charismatischen Sänger Jón Aldará, aus den Tiefen kosmischer Klanglandschaften und beweist eindrucksvoll, dass das Debüt "Access All Worlds" keine einmalige Sternstunde war, sondern der Beginn einer epischen Reise, die uns mit jedem Takt tiefer in ihre fantastische Sphäre zieht.
Kinship ist ein monumentaler musikalischer Epos, ein Werk, das sich über acht Tracks erstreckt und den Hörer auf eine mythologische Expedition mitnimmt. Schon mit dem Opener "Kinship Elegiac" betreten wir eine Welt, die sowohl erhaben als auch verletzlich klingt. Die fast vierzehn Minuten dieses Tracks sind ein majestätischer Beweis für Iotunns musikalisches Können: Ein Anfang, der mit atmosphärischer Ruhe beginnt, entfaltet sich in einen Orkan aus Melodien und Riffs, die bis zum Finale keinen Moment an Intensität verlieren. Jesper und Jens Nicolai Gräs‘ Gitarrenarbeit ist dabei schlichtweg hypnotisierend, während Bjørn Wind Andersen am Schlagzeug mit einem präzisen Donnern die Stürme heraufbeschwört, die diese musikalische Reise so unvergesslich machen.
Jón Aldará, der bereits mit Hamferð und Barren Earth tiefe Fußspuren in der Metalwelt hinterlassen hat, brilliert auf "Kinship" mit einer stimmlichen Bandbreite, die ihresgleichen sucht. In "Mistland", dem zweiten Stück, wechselt er zwischen herzzerreißendem Klargesang und düsteren Growls mit einer Leichtigkeit, die tief unter die Haut geht. Die emotionale Tiefe, die er transportiert, lässt die Atmosphäre vibrieren, und wer bei seiner Performance keine Gänsehaut bekommt, muss wahrlich aus Stein sein.
Einer der absoluten Höhepunkte des Albums ist "I Feel The Night". Die Melodien und Arrangements entführen uns in einen mystischen Nebelwald, wo man den Atem der Natur spürt, während Aldarás Stimme das letzte Glühen des Tageslichts einfängt. Hier beweist die Band, wie meisterhaft sie es versteht, epische Melodien mit einem düsteren Unterton zu verweben und damit eine fast tranceartige Wirkung zu erzielen.
Aber Iotunn wäre nicht Iotunn, wenn sie sich auf eine einzige Formel beschränken würden. Der Song "Earth To Sky" entfesselt ein höllisches Tempo, bei dem Eskil Rasks Bass und Andersens Double-Bass-Drums die Erde erbeben lassen. Doch trotz der harschen Passagen bleibt der Song stets melodisch und zugänglich. Und hier liegt die Genialität von "Kinship": Die Band navigiert mit spielerischer Leichtigkeit durch die Gewässer des Prog, ohne jemals die Essenz des Songs aus den Augen zu verlieren. Es gibt keine überflüssigen Spielereien oder mathematische Taktfolgen, die sich selbst im Weg stehen. Alles dient dem Fluss, der Dynamik, der Geschichte, die erzählt werden will.
Einen sanfteren, fast akustischen Moment schenkt uns "Iridescent Way". Hier treten die Gitarren in den Hintergrund, und die Musik atmet, verleiht der Reise eine neue Nuance, während sie gleichzeitig den Blick für das Wesentliche schärft. Dieser Wechsel zwischen ekstatischer Erhabenheit und erdender Ruhe hält das Album frisch und faszinierend, selbst nach mehreren Durchläufen.
Hinter den Texten und der Musik verbirgt sich eine tiefgründige Story, die Fragen nach der Verbindung zwischen Mensch und Natur stellt und prähistorische Elemente mit philosophischen Überlegungen zu Kultur und Schicksal vereint. Das macht "Kinship" zu mehr als nur einem musikalischen Erlebnis; es ist eine intellektuelle Herausforderung, ein Werk, das den Hörer in Gedankenwelten entführt, die weit über die epischen Riffs hinausgehen.
Iotunn ist mit "Kinship" ein kleines Wunder gelungen: Sie erweitern ihre musikalischen Horizonte, ohne ihre Wurzeln zu verraten. Die Songs sind gleichermaßen monumental wie filigran, die Melodien so wunderschön, dass sie selbst die dunkelsten Growls in einem emotionalen Licht erstrahlen lassen. Der einzige Kritikpunkt, der bleibt, ist die schiere Länge des Albums. Mit 68 Minuten mag es manchen zu lang erscheinen, doch jeder Song verdient seinen Platz auf dieser Reise, die mit der Repeat-Taste immer wieder neu beginnt.
Selten hat es eine Band geschafft, den Progressive Melodic Death Metal so episch und emotional auszuloten, ohne sich in technischem Bombast zu verlieren. "Kinship" ist ein Meisterwerk, das man erlebt haben muss.
Albuminfo
Punkte |
4/5 |
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Label |
Metal Blade |
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Veröffentlichung |
10/2024 |
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Format |
CD |
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Land |
Dänemark/Färoer | |
Genre |
Progressive Death Metal |
Tracklist
1. Kinship Elegiac
2. Mistland
3. Twilight
4. I Feel The Night
5. The Coming End
6. Iridescent Way
7. Earth To Sky
8. The Anguised Ethereal