Falls jemand unter uns den musikalischen Werdegang von Orakle von 1994 bis heute aktiv mitverfolgt haben sollte, so wird er feststellen, mit dem aktuellen Opus "Tourments & Perdition" den bisherigen Höhepunkt ihres Schaffens in Händen zu halten.
Die vier Franzosen bewegen sich in ihrer Evolution demzufolge weder abwärts noch konstant seitwärts, sondern hörbar und beinahe auch fühlbar immer weiter aufwärts, der Sonne entgegen.
So wechselte man nach dem letzten Album "Uni Aux Crimes" zwar nicht schon wieder seine Musiker, sondern seinen Dienstherrn und heuerte nach dem kurzen Intermezzo mit Melancholia Records beim Schwermetall-Spezialisten Holy Records an - ob sich diese Veränderung allerdings direkt für den erneuten qualitativen Aufschwung verantwortlich zeichnet, entzieht sich meiner Kenntnis.
Fest steht aber, dass weder Orakle noch Holy Records bei der Wahl ihres Vertragspartners einen Fehlgriff getan haben, was "Tourments & Perdition" eindeutig beweist.

Wenn ich darüber nachdenke, welche andere namhafte Formation ich zum stilistischen Vergleich für das vorliegende Scheibchen anführen könnte, so schiessen mir permanent andere Namen durch den Kopf:
Orakle haben ein bisschen was von Dimmu Borgir, ein bisschen was von Evergrey, ein bisschen was von Tiamat, ein bisschen was von Nevermore und ein bisschen was vom Rest der melodischen Black Metal-Abteilung.
Vor alternativem Hintergrund bewegen sich die Franzosen dabei auf recht atmosphärischen Terrain und arbeiten den Keyboard-Überfluss nicht als Kitsch oder Spielerei, sondern als tragendes Element in ihr Songwriting ein.
Da sich das Tempo zwischen halsbrecherischer Raserei und gediegener Ruhe einpendelt, gelingt es auch, mit den beiden Gitarren facettenreiche Akzente zu setzen.
Zwar drohen insbesondere die sägenden Riffs bei Überdosis eine fatale Wirkung zu entfalten, die fantastischen, leider etwas spärlich verwendeten Soli hingegen drehen gewaltig an der Emotionsschraube.
Einen ausdauernden Frontmann weiss man mit Achernar in seinen Reihen, der seinen geschundenen Stimmbändern wahrhaft schauderliche Töne entlocken kann - er ist überdies übrigens auch für den Bass und zumindest im Studio auch noch für die Tiefgang-Keyboards zuständig.
Eingespielt wurde "Tourments & Perdition" im Pariser Studio Davout unter der Federführung von Fernando Pereira Lopes, der aus dem Album ein klangliches Meisterwerk gemacht und Orakle damit ein grossen Dienst erwiesen hat.

Ein ordentliches Mainstream-Brett also, was Orakle da mit ihrem Neuling über Bord geworfen haben.
Musikalische Vielfalt regiert die kompositorischen Belange; der Hörer wird knappe fünfzig Minuten lang vor seine Stereoanlage gefesselt.
Aufgrund der durchgehend hohen Qualitätsdichte fällt es schwer, repräsentative Stücke als Anspieltip herauszugreifen - wenn ich mich entscheiden müsste, so fiele meine Wahl auf "Dépossédés (Le Miroir Sans Train)" und "Les Mots De La Perte".
Ohne Einschränkung empfehle ich jedem Fan melodischen Black Metals, sich hinsichtlich "Tourments & Perdition" einmal schlau zu machen - es könnte sich mehr lohnen denn je.

Albuminfo

Punkte

 

4/5

Label

Holy Records

Veröffentlichung

8/2008

Format

CD

Land

Genre

Black Metal