„Knochengesänge“ – schon der Titel klingt wie ein Grab, das flüstert. Und tatsächlich: was Waldgeflüster hier auf ihrem siebten Werk beschwören, ist nichts Geringeres als ein Requiem über das Dasein selbst, ein doppelter Herzschlag aus Vergänglichkeit und Vermächtnis. Vier Jahre hat die Band an diesem Doppelalbum gearbeitet, und man hört jede Sekunde dieser Zeit. Nichts ist zufällig, nichts leichtfertig. „Knochengesänge I“ und „Knochengesänge II“ sind zwei Gesichter derselben Sterblichkeit – das eine erdig, das andere ätherisch –, beide durchzogen von der unnachahmlichen Handschrift Winterherz’, dessen Vision längst über Black Metal hinausgeht.

Von der ersten Note an umweht das Werk diese seltsam würdige Schwere, die Waldgeflüster seit jeher auszeichnet. In „Krähenpsalme“ (veredelt durch das Mitwirken von Austin Lunn von Panopticon) krächzt der Tod selbst durch die Zweige. Das Lied ist ein Sturm aus Gitarre und Gefühl, der in sich ruht wie ein uralter Baum. „Bamberg, 20. Juni“ wirkt fast dokumentarisch, ein Eintrag im Tagebuch eines Sterblichen – flirrend, zärtlich, in sich versunken. Überhaupt ist dies kein Album, das bloß die Dunkelheit feiert: Es ist eine Meditation über das Erinnern, über das, was von uns bleibt, wenn die Stimmen längst verklungen sind.

„Der kleinste König und sein Architekt“ ist ein stilles Monument, eine Parabel über Schöpfung und Zerfall, in der Waldgeflüster ihre Fähigkeit beweisen, ganze Welten aus Gitarrenharmonien zu erbauen. Und dann ist da „Lethe – Der Fluch des Schaffenden“, das in seiner bittersüßen Tragik zu den ergreifendsten Momenten der Bandgeschichte zählt. Die Flüsse des Vergessens, vertont in sieben Minuten aus purer Sehnsucht und müder Größe.

„Knochengesänge II“ spiegelt die erste Platte – doch wie Mondlicht, das sich in Wasser bricht, erscheinen vertraute Formen hier anders, fremd, manchmal gar entrückt. „Das Klagelied der Krähen“ hallt wie ein ferner Widerhall des Openers, doch wo zuvor Sturm tobte, bleibt nun der Nachhall – der Rauch nach dem Brand. Die englischen Versionen der Stücke, wie „The Little King and His Architect“ oder „In Lethes Fluten“, entfalten eine fast rituelle Wirkung: als ob dieselbe Seele zwei Sprachen spräche, zwei Welten durchwanderte, auf der Suche nach Erlösung.

Musikalisch sind Waldgeflüster auf „Knochengesänge“ unantastbar. Der Klang ist organisch, atmend, voller Raum und Tiefe. Die Riffs tragen die Last von Felsen, die Melodien tropfen wie Regen über verwitterte Grabsteine. Thomas Birkmaiers Schlagzeugspiel pulsiert wie Herzklopfen im Nebel, Dominik Franks und Markus Freys Gitarren verweben sich zu einem melancholischen Gewebe, das sich endlos dehnt. Und Winterherz’ Stimme – dieses rauchige, zerrissene Timbre zwischen Klage und Bekenntnis – bleibt das emotionale Zentrum.

Doch das eigentlich Ergreifende an diesem Doppelalbum ist seine Haltung. „Knochengesänge“ ist keine bloße Reflexion über den Tod. Es ist ein Liebeslied an das Leben – an das Unvollkommene, das Unwiederbringliche, an all das, was wir in der Erde zurücklassen. Waldgeflüster erinnern uns daran, dass wir Teil eines Kreislaufs sind, eines Gesangs, der weiterklingt, wenn unsere Stimmen schon verweht sind.

Am Ende, wenn „The Parting Glass“ beide Alben beschließt, bleibt nur noch Stille – und das Gefühl, etwas Heiligem beigewohnt zu haben. Ein Doppelschlag zwischen Himmel und Erde, zwischen Körper und Erinnerung.

„Knochengesänge“ ist kein Album, es ist ein Übergang. Ein Werk, das spricht, wenn Worte versagen. Ein Testament, das nicht in Stein, sondern in Klang gemeißelt ist. Ein Meisterwerk, das nicht fragt, ob wir bleiben – sondern ob wir je wirklich da waren.

Albuminfo

Punkte

 

4/5

Label

 

AOP

Veröffentlichung

 

11/2025

Format

 

CD

Land

 

Deutschland

Genre

 

Black Metal/Post Black Metal

Tracklist

Knochengesänge I
1. Krähenpsalme (feat. Austin Lunn of Panopticon)
2. Bamberg, 20. Juni
3. Der kleinste König und sein Architekt
4. Von Hypnos und Thanatos
5. Lethe - Der Fluch des Schaffenden (feat. Alboin of Eïs)
6. Knochengesang
7. The Parting Glass

Knochengesänge II
1. Das Klagelied der Krähen
2. Frankfurt, 19. März
3. The Little King and His Architect (feat. Austin Lunn on drums)
4. Crusade in the dark
5. In Lethes Fluten
6. Singing of Bones
7. The Parting Glass