Ein langer, verzweigter Weg zur Spitze.

Fast in allen Magazinen genießt die Nebelkrähe mit ihrer aktuellen Veröffentlichung hohes Ansehen. Das dritte Album, welches traditionell endgültig über immerwährendes Schattendasein und Durchbruch entscheidet, schlägt bei den Münchnern eindeutig in die Durchbruchsrichtung. Morg und umbrA liessen uns hinter die Kulissen des Erfolgs blicken.

Wie fühlt es sich an, dass euer neues Album "ephemer'" von Fans und Kritikern gleichermaßen gefeiert wird?
 
umbrA: Es ist in der Tat sehr erfreulich, dass die Reaktionen auf das Album so positiv ausfallen. Der Weg zum Release von “ephemer” war ein langer und nicht ganz einfacher, da verliert man komplett den neutralen Blick auf die eigene Arbeit. Der lange Entstehungsprozess hat aber durchaus sein Gutes gehabt: Die Songs durften lange reifen, wir konnten viel Zeit in Detailarbeit an den Arrangements stecken. An den Reaktionen sieht man, dass sich diese Arbeit gelohnt hat.
 
Morg: Wenn man dann nach zehn Jahren aus der Höhle gekrochen kommt, und nicht nur feststellt, dass da draußen tatsächlich noch ein paar Fans von früher an dich erinnern oder gar auf dein Album gewartet haben, sondern sogar weit mehr positive Resonanzen als je zuvor bekommt, ist das schon ein tolles Gefühl. Insofern ist es schon sehr schön, zu sehen, dass sich all die Mühen gelohnt haben und die Leute Gefallen an unserem Werk finden.
 
 
"ephemer" wird als Durchbruch für Nebelkrähe bezeichnet und als ein Album, das in die Ewigkeit eingehen wird. Welche Bedeutung hat dieses Album für euch als Band und wie fühlt es sich an, so eine Anerkennung zu erhalten?
 
Morg: Nun, wie vorhin schon thematisiert, haben wir an dem Album zehn Jahre gearbeitet - entsprechend viel Herzblut ist in diese Songs geflossen. Zumal es auch das Letzte ist, das wir gemeinsam mit Kar geschrieben haben, wird dieses Album für uns immer etwas besonderes sein - was auch immer die Zukunft bringt. Insofern ist es natürlich auch sehr erfreulich, dass die Songs so großen Anklang finden und sowohl bei der Metal-Presse als auch in der Szene auf viel Gegenliebe stoßen. Das ist bei unserem doch etwas ausgefalleneren Stil ja wirklich keine Selbstverständlichkeit gewesen. Allerdings muss man bei alledem auch etwas realistisch bleiben: Ewigkeit ist ein sehr großes Wort, und selbst “Durchbruch” ist schlussendlich Definitionssache. Für einen echten “Durchbruch” bräuchte es schon noch ein paar Bestellungen und vor allem Bookinganfragen mehr...
 
Warum hat es so lange gedauert, das neueste Werk entstehen zu lassen?
 
umbrA: weil das Leben immer wieder dazwischen gefunkt hat. Die ersten Songsstrukturen für “ephemer” sind bereits 2013 entstanden, als wir gerade mit der Veröffentlichung des Vorgängers “Lebensweisen” beschäftigt waren. In den folgenden Jahren wurde der kreative Prozess immer wieder durch äußere Umstände ausgebremst: Proberäume in München sind rar, wir waren aber leider mehrfach gezwungen, uns einen neuen zu suchen. Unser Bassist hatte Schwierigkeiten, die Band mit seinem Beruf unter einen Hut zu bringen, unser Gitarrist hat den Elan für die Band verloren - die damit verbundenen Besetzungswechsel haben viel Zeit gekostet. Kurz nach Aufnahme der Drumspuren kam dann die Pandemie, weswegen mit gemeinsamen Proben oder Recording-Sessions erstmal Sense war. Die Spuren für “Lebensweisen” hatten wir unter meiner Regie aufgenommen, jetzt mussten sich die Gitarristen mit Homerecording vertraut machen. Die Zusatzinstrumente und den Bass habe ich mit den Musikern stückweise aufgenommen, immer dann, wenn es gemäß der Vorschriften möglich und einigermaßen sicher war, dass man sich zu einer Session trifft. Die Pandemie hat dann auch noch das Studio dahingerafft, das wir uns für den Mix ausgesucht hatten, weswegen wir nochmal auf die Suche nach einem geeigneten Mischer und Produzenten gehen mussten. V. Santura war dann schließlich unsere Wahl, aber der hatte nach der Pandemie auch einen vollen Terminkalender und musste uns nochmal ein Jahr vertrösten. So kommen dann ganz fix zehn Jahre zusammen.
 
 
Ihr seid bereits seit 16 Jahren aktiv und habt euch stetig weiterentwickelt. Wie würdet ihr eure musikalische Entwicklung beschreiben und wie hat sich diese auf "ephemer" ausgewirkt?
 
Morg: Wie bei allem im Leben geht mit der Zeit auch eine gewisse Reife einher - so sollte es zumindest sein. Unser erstes Album “entfremdet” war vor allem von dem ungestümen Willen geprägt, auch etwas zum großen Faszinosum “Black Metal” beizutragen. “Lebensweisen” hingegen war vom Drang geprägt, sich selbst zu finden und mit Konventionen zu brechen. “ephemer” ist nicht zufällig das erwachsenste Album im Bunde: Diese Songs hätten wir so weder als Teenager noch in unseren 20ern schreiben können. Sie sind die Quintessenz aus den beiden Vorgängern, verbinden impulsive Riffs und Ignoranz gegenüber Genregrenzen mit der Erfahrung aus nunmehr über 15 Jahren - an unseren Instrumenten wie auch als Songschreiber. Verglichen mit “Lebensweisen” haben wir bei “ephemer” etwa ganz bewusst einen Gang runtergeschaltet: Weder muss man am Schlagzeug jedes Fill spielen, für das Zeit ist, noch ist es gleich langweilig, wenn ein Riff öfter als zweimal wiederholt wird - und wenn man etwas nicht spielen kann, ist es ein gutes Indiz dafür, dass man es so auch nicht in den Song schreiben sollte. Wir haben die Songs auf die Quintessenz dessen reduziert, was Nebelkrähe ausmacht - das ist, was “ephemer” schlussendlich so stark macht.
 
 
In eurer Musik gibt es eine Mischung aus aggressiven Black Metal-Riffs und melancholischen Dark Metal-Melodien. Wie findet ihr die Balance zwischen Aggression und Melancholie in eurer Musik?
 
Morg: Intuition ist irgendwie ein blödes Wort, aber ich denke, hier trifft es ganz gut zu. Es ist ja nicht so, dass wir beim Songwriting nach einem Rezept vorgehen, und zu zwanzig Gramm Black-Metal-Riffing dann noch drei Esslöffel Dark-Metal-Melodien und eine Prise Aggression beigeben, und am Schluss mit Melancholie würzen. Kreativität ist etwas, das zunächst völlig unbeeinflussbar aus einem herausbricht - das ist ja das Schöne und Faszinierende daran. Wenn die Grundidee dann da ist, versuchen wir, daraus mit viel Akribie im Feinschliff einen Song zu formen. Wenn das Resultat für dich ausbalanciert klingt, hat sich die Arbeit gelohnt. 
 
In eurer Musik vereint ihr Elemente aus Dark Metal, Black Metal und Avantgarde. Wie habt ihr es geschafft, diese verschiedenen Einflüsse zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden?
 
Morg: Ich denke, hier verhält es sich ähnlich bei der Balance: Songwriting ist immer Feeling, aber eben auch Handwerk. Wir sind alle seit Jahrzehnten passionierte Musikhörer - das schult das Verständnis für gute Songstrukturen und Kompositionsmuster. Der Rest ist auch hier: akribisches Ausprobieren. Das kann man vielleicht mit dem Bild eines Tresorknackers vergleichen: Die “perfekte” Tonfolge, die richtige Kombination, existiert - man muss nur darauf kommen. Also tastet man sich langsam vorwärts, probiert aus, spürt nach, irgendein Takt klickt ein, der nächste hakt, dann passt der, dafür passt im vorderen wieder eine Note nicht … aber irgendwann, vielleicht durch eine zufällig geänderte Zahl, springt die Tür auf einmal auf. Manchmal geht das ganz schnell, an manchen Übergängen oder Melodien arbeite ich dafür tage- oder auch wochenlang, um sie dann nach ein paar Monaten oder Jahren doch nochmal umzubauen, bis alles klingt, wie es soll. 
 
 
Neben eurer Musik zeigt sich eure Kreativität auch in den Titeln und Texten eurer Songs. Wie entstehen diese kreativen Ideen und welche Rolle spielen sie in eurem Gesamtkonzept?
 
umbrA: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal steht ein musikalisches Grobkonzept für den Song und das textliche Thema ergibt sich aus der Stimmung des Songs. In anderen Fällen steht ein textliches Konzept, wie beispielsweise beim Titelsong “ephemer” des Albums, und die Musik wird auf den Text geschrieben. Arrangement und Song werden dann in Kleinstarbeit aufeinander abgestimmt. Es ist ein permanenter Feedbackprozess, der so lange läuft, bis das Ergebnis für alle stimmig ist.
 
Die Texte eurer Songs sind anspruchsvoll und voller Metaphern. Was ist die Inspiration hinter euren lyrischen Inhalten?
 
Morg: Inspiration kann schlussendlich erst einmal alles sein: “Dornbusch” beispielsweise ist von dem Roman “Kruso” von Lutz Seiler inspiriert, der Text des Titeltracks ist eine Geschichte, zu der mich das Cover-Artwork inspiriert hat, und der Text zum “Nielandsmann” ist stark von der Flüchtlingskrise 2015 beeinflusst, als plötzlich die Deutschen Grenzen nach Österreich geschlossen wurde. Ich war damals gerade in Salzburg und musste über Umwege und mehrere Stunden in meinen damaligen Wohnort auf deutscher Seite zurücklaufen - mit einem Mal fuhren keine Züge, keine Taxis, einfach nichts mehr. Für mich als EU-Bürger, der im immer enger verwachsenen Schengen-Raum groß geworden ist, war das ein Augenöffner, wie schnell Freiheiten dahin sein können, aber auch, wie absurd dieses ganze Grenz-Konzept ist: Die großen Brücken für Züge und Autobahnen waren gesperrt, die Fußgängerbrücken und Landstraßen-Übergänge aber unbewacht. Eine Grenze ist eben immer nur dort, wo sie jemand proklamiert - das ist, was ich dann ins Setting der verschwimmenden Frontlinien im “Nielandsmann” transferieren wollte.
 
Wie wichtig ist es euch, den Hörer mit euren Texten zum Nachdenken anzuregen?
 
umbrA: ich kann hier nur als ausführendes Organ sprechen. Es hat mich von Anfang an sehr gereizt und begeistert, dass die Texte bei Nebelkrähe so viel Tiefe haben und auf die Songs abgestimmt sind. Das macht beim Singen einen riesigen Unterschied, wenn man die Texte richtig durchleben kann. Ich höre durchaus harte Musik, bei der die Texte relativ egal sind, aber wenn Texte und Musik eine Einheit bilden, ist das schon nochmal eine ganz andere Dimension. Insofern legen wir viel Wert auf die Texte und freuen uns natürlich, wenn die Hörer das auch würdigen.
Morg: Ich denke, man muss die Kirche im Dorf lassen - kann sie aber natürlich anzünden: In erster Linie sind wir eine Band und machen Musik. Die meisten Menschen, die uns entdecken, werden also unsere Musik hören und nicht weiter vordringen. Und das ist vollkommen in Ordnung. Ich habe tausende Alben gehört, und die Zahl derer, bei denen ich mich eingehend mit dem Textwerk beschäftigt habe, kann ich vermutlich an meinen Fingern abzählen. Wenn man aber von der Musik begeistert ist und sich eingehender mit dem Album auseinandersetzen möchte, finde ich es persönlich immer schade, wenn die Texte dann gar nichts hergeben. Schon deshalb war mir immer wichtig, dass man bei Nebelkrähe mehr als nur Musik findet, wenn man denn danach sucht. Davon abgesehen würde es mich nicht reizen, plumpe Texte ohne jedweden künstlerischen Anspruch zu schreiben - und ich denke, damit kann ich auch für Kar sprechen, mit dem ich mir das Texten bislang geteilt habe. Und wie umbrA sagt: Für ihn als Sänger wäre das ja auch irgendwie witzlos.
 
Der Titel eures Albums, "ephemer'", ist ein Kunstwort, das aus den griechischen Wörtern für "vergänglich" und "flüchtig" besteht. Wie spiegelt sich dieses Konzept von Vergänglichkeit und Flüchtigkeit in eurer Musik wider?
 
umbrA: Das Wort ist in der Tat dem Griechischen entlehnt, steht aber auch im Duden und ist synonym für “flüchtig” und “vergänglich”. Die Songs auf “ephemer” folgen keinem strikten textlichen Konzept, befassen sich aber allesamt mit der Vergänglichkeit menschlichen Daseins - sei es das vergängliche Glück des Goldsuchers in seinem Claim, oder das Verschwinden der Bedeutung menschengemachter Grenzen, wenn sich der Soldat an der Front im Wald wiederfindet und nicht mehr sieht, auf welcher Seite einer künstlichen Grenze er steht und für was er eigentlich sein Leben aufs Spiel setzt. Der Titelsong ist vom Coverartwork inspiriert, für das sich ein befreundeter Fotograf verantwortlich zeichnet. Morg hat das Bild damals gesehen, gleich geschaltet und den besagten Fotograf gebeten, uns das Bild für unser Cover zur Verfügung zu stellen. Song und Text sind daraufhin entstanden. Das Konzept der Flüchtigkeit zieht sich als roter Faden durch die Texte des Albums. 
 
Welche Botschaft möchtet ihr mit eurer Musik und euren Texten vermitteln und was möchtet ihr, dass eure Hörer aus eurer Musik mitnehmen?
 
Morg: Wenn Gojira über die Zerstörung des Amazonas singen, hat das für mich eine klare Botschaft … oder wenn ZSK klare Kante gegen Faschisten zeigen. Unsere Songs sind nicht in diesem Sinne politisch, “ephemer” hat keine allgemeingültige “Take-Home-Message”. Ich sehe das Textwerk eher als Denkanstoß: Das Albumthema ist ja die Flüchtigkeit von so ziemlich allem, was uns umgibt und umtreibt - Gedanken, Träume, Räume, Systeme … die Botschaft ist also allenfalls, dass man durchaus mal hinterfragen sollte, ob wirklich alles, worin man es sich bequem gemacht hat, so unumstößlich ist, wie es scheint. 
 
Was möchtet ihr eurem eigenen Nachwuchs auf den Weg geben, um in der aktuellen Welt gerüstet zu sein?
 
Morg: Auf die Gefahr hin, hier jetzt allzu arg das Klischee des misanthropischen Black Metallers zu erfüllen: Ich wüsste nicht, was ich einem heranwachsenden Menschen in diesen Zeiten mitgeben sollte, um auch nur ansatzweise für irgendwas gerüstet zu sein. Ich fühle mich ja nicht einmal selbst gerüstet, wenn ich Nachrichten konsumiere oder über Themen wie den Klimawandel nachdenke. Vielleicht ist das Spiel “Menschheit” so langsam auch einfach mal durchgespielt. Ich sehe jedenfalls keinen Bedarf für noch mehr Menschen auf diesem Planeten. Trotzdem habe ich großen Respekt vor allen, die zumindest versuchen, in unserer Gesellschaft noch etwas zu bewegen und sich aktiv für Klimaschutz, Seenotrettung und dergleichen einsetzen. Im Pessimismus macht man es sich allzu gerne bequem, dessen bin ich mir durchaus bewusst.
 
Wann darf man euch in Zukunft in der Region sehen? Sind weitere Aktivitäten mit der Band geplant?
 
umbrA: Nach dem Release ist vor dem Release! Momentan fokussieren wir uns verstärkt auf die Suche nach Möglichkeiten, unser neues Material live zu präsentieren. Am 29. Dezember 2023 steigt unser Releasegig im Backstage München. Das wird die erste Gelegenheit, uns seit der Pandemie live zu erleben. Leider gestaltet sich die Suche nach Auftrittsmöglichkeiten mittlerweile extrem schwierig. Viele kleine Locations haben die Pandemie nicht überstanden, die Kosten für Liveveranstaltungen sind gestiegen und damit auch das finanzielle Risiko, als Band selbst ein Live-Event zu veranstalten. 
Darüber hinaus arbeiten wir bereits an einem nächsten Release, aber hierzu möchten wir im Moment noch nicht mehr verraten. Genießt erst einmal “ephemer”, weitere Infos zur nächsten Veröffentlichung folgen im Jahr 2024!