William Blake als Gnostiker

Satanismus, Christentum, keltische und nordische Religionen sowie die zugehörigen Mythologien!

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Von Horffburg
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William Blake als Gnostiker

Beitrag von Von Horffburg »

@Ihr wisst schon...

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William Blake, 1757-1827


Ich möchte an der Stelle mal auf diesen aussergewöhnlichen englischen Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts aufmerksam machen, der im Kontext der Impulse, welche der werte Herr Ju-Hu seit Anbeginn seiner hehren Präsenz in diesem Forum (hehe) in eben dasselbige gepflanzt hat, eine echte Bereicherung darstellt.
Man könnte Blake als christlichen Dichter bezeichnen, christlich aber weder im Sinne einer orthodoxen, noch einer reformatorischen Ausrichtung, in welchen er die Spiritualität reduziert sah auf Moral- und Tugendfragen. Der deutsch-tschechische Mystiker Karl Weinfurt spricht in seinem Büchlein „Der Königsweg“ von einem dreifachen Schichtcharakter religiöser Schriften, so auch der Bibel: als äusserste Schicht nennt er die historische, stoffliche, als mittlere die äusserlich-religiöse Schicht, bestimmt für den „äusseren“ Menschen als Stütze für seinen Glauben und seine Moral, als dritte und einzig wahrhaftige aber nennt er die symbolisch-mystische Tiefenschicht, in welcher sich die Mysterien einer gnostisch-mystischen Lehre vor den Augen sowohl „gewöhnlicher“ Gläubiger als auch der Theologen verbergen. Blake schöpft mit seiner Dichtung aus eben dieser Tiefenschicht der Mystik, und ist damit in erster Linie ein (aus christlichen Quellen sich nährender) Gnostiker.
Blake ist somit Anti-Empiriker: der Empirismus Lockes und dessen methodologische Entsprechung des erkenntnistheoretischen Sensualismus reduzieren einerseits die Welt auf ein Oberflächen- Dasein, welches genau da aufhört, wo seine Wahrnehmbarkeit ihre Grenze erreicht, und andererseits den Menschen auf einen passiven Empfänger von Sinneseindrücken, die von aussen auf ihn zuströmen. D.h. die Welt besitzt hiernach keine Tiefe, kein verborgenes Dasein, dessen Entdeckung sich der Fähigkeit des analytischen Menschen, seiner Vernunft, gänzlich entzöge: da ausser dieser Oberfläche aus Äusserlichkeiten und vernunftentsprechender Zusammenhänge nichts existiert, ist nichts real, was nicht irgendwo an dieser Oberfläche haftet. Realität endet also da, wo die Oberfläche sich schliesst. Dunkle Stellen in dieser Welt gibt es zwar, doch nur, weil die Vernunft sie noch nicht gänzlich ausgeleuchtet hat. Der Mensch kann nicht weiter denken als bis zur Grenze dieses Horizontes, kann nichts mehr sein als ein Produkt von Einwirkungen dieser Äusserlichkeiten. Der Spruch Lockes: „Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war“, macht diesen Reduktionismus überdeutlich. Der Mensch ist Gefangener der Geschlossenheit eines mechanistischen Uhrwerks, gänzlich abgetrennt vom Göttlichen, welches gemäss des dieser aufklärerischen Auffassung entsprechenden „Deismus“ sich aus dieser Welt zurückgezogen hat, nachdem es diese errichtet und wie ein Uhrwerk aufgezogen hat, welches jetzt selbständig funktioniert, bereit, von der menschlichen Vernunft, diesem Spürorgan des Kausalen, analysierend erfasst, verstanden zu werden.
Blake setzt nun dieser Auffassung, die sowohl Spiegel als auch Symptom des damaligen Aufklärungsimpulses ist und von der - wie Blake sagt - unheiligen Trinität Locke-Newton-Bacon wie ein Banner hochgehalten wird, sein Weltbild des Visionären und des Poetischen entgegen, das im Menschen mehr sieht als eine Ansammlung passiv empfangender Organe der Wahrnehmung, in der Welt mehr vorfindet als nur Oberfläche und Aussenhaut. Es ist ein Weltbild der Tiefe, getragen vom Poetischen, Prophetischen oder Visionären Genius, der menschlichen Fähigkeit, das Wahrhaftig Göttliche zu erkennen, in sich selbst und in der Welt. Der Mensch ist, wie Blake meint, nicht durch die Begrenzung seiner Wahrnehmungsorgane beschränkt, nicht an eine nur-vernünftige Geisteskraft gebunden, sondern von einer schöpferischen Kreativität durchwirkt, die es ihm ermöglicht, ständig über die Oberflächen-Horizonte hinauszuwachsen, sich als Mensch gerade dadurch zu definieren, dass man aus einer von der Kausalität nicht auslotbaren Tiefe der Unsagbarkeit, Unausprechlichkeit schöpft – und zwar im doppelten Sinne des Wortes! Wer wahrhaftig sieht, sieht visionär! Er sieht, dass die Welt der Erscheinungen nur der illusionäre, vergängliche Teil einer Wirklichkeit ist, die unter dieser Membran vor Möglichkeit strotzt. Ein jedes Objekt auf der Oberfläche verweist auf diese Tiefe, die es in sich besitzt.
Die sogenannte „natürliche Religion“, wie der Deismus sich selbst nennt, eine vernunftgeleitete Moralphilosophie und -religion, die also Vernunft mit einem ihr entsprechenden sittlichen Gehalt verbindet, wird vom Anti-Rationalisten, Anti-Empiriker, Anti-Reduktionisten (und Anti-Kapitalisten) Blake abgelehnt, denn die Triebfeder darin, die Vernunft, die Ratio, ist eine die unendliche Mannigfaltigkeit des Seins auf ein mechanisches Schema reduzierende Instanz, der Deismus also nichts weiter als eine Konzession an ein rationalistisches Weltbild, das einerseits ohne Gott auskommen will, andererseits gerade durch seine Unfähigkeit, in der Tiefe verborgene Gründe aufzudecken, auf eine „Hilfs-Konstruktion“, eine Konstante, die den „letzten Grund“ bildet, angewiesen ist, um nicht weiter über Dinge jenseits der Vernunft nachdenken zu müssen und sie bequem wegzustreichen und um schlussendlich eine Rechtfertigung der eigenen Theorie aufrechtzuerhalten.
Die Wesenheit des Poetischen und Prophetischen lässt den Menschen stets in neue Zusammenhänge gleiten, die sich der Ratio allein nie ergeben würden. Wären diese Gaben dem Menschen nicht eigen, so würde er, hätte er einmal die Ratio aller Dinge, also den in sie von der Vernunft hineingelegten Grund, erfasst, sich im ewig gleichen dumpfen Zirkelschlag der Zusammenhänge drehen, nie Neues entdeckend, ewig gleich bleibend, die Monotonie wäre sein Leiden und sein Untergang. Der Mensch besitzt diese Gaben aber, und sie befähigen ihn, mehr zu sehen, als die Wahrnehmungsorgane und die Vernunft als solche fähig sind, und mit dem Wissen wächst auch die Sicht auf das, was als wahr gelten darf, ändert sich die Perspektive der Wahrnehmung, d.h. sie bleibt nicht ewig gleicher Zirkelschlag, sondern wächst mit den Menschen, sofern sie natürlich wachsen (wollen). Wer allerdings nur die Ratio sehen will, sieht nur sich selbst, also nur das beschränkte Bild des Ich, welches uns unsere Ratio aufdrängt, nur unsere in Kausalität verstrickte und dadurch beschränkte Körperlichkeit und Materialität. Wer aber das Unendliche in allen Dingen, das in ihrer Tiefe schlummernde Mögliche sieht, sieht Gott, und dadurch sich selbst, aber mit den Augen Gottes, sieht also seine eigene Göttlichkeit, welche grenzenlose Kreativität ist. Dieser Poetische Genius ist der wahre Mensch, der göttliche Mensch. Dessen Äusserlichkeiten, Oberflächen und dessen Ich leiten sich von ihm her; die Äusserlichkeiten aller Dinge leiten sich von ihm her, sind gewissermassen Objektivationen desselben; so wie etwa bei Schopenhauer alle Erscheinungen, Vorstellungen, nur Objektivationen eines in ihnen befindlichen und durch sie sich mitteilenden, der Vernunft niemals zugänglichen Willens sind (Onkel Arthur, Du hast in die Welt der Aufklärung wieder jenen Kraftstrom des Unsagbaren geleitet, Heil Dir!). Die äussere Erscheinung ist also nicht das Wesen eines Dinges, sondern nur dessen Oberfläche, wohingegen der aufklärerische erkenntnistheoretische Sensualismus das Wesen auf ebendiese Erscheinungen reduziert und sich dadurch selbst von dieser Tiefe abschneidet, indem er sie durch eine in sich geschlossene Kausalitätsmembran umhüllt, die nur die Oberfläche streift, aber nirgends einen Riss aufweist, der in die Tiefe klafft (so zumindest in der Idealvorstellung dieser Rationalisten!).
Der Poetische Genius ist Wahrheit. Aber unaussprechliche Wahrheit - nicht in die Unzulänglichkeiten der Sprache übersetzbar, ohne dass dadurch unweigerlich eine Interpretation der Wahrheit stattfindet. So sind alle ausgesprochenen „Wahrheiten“ letzendlich „wahr“, weil sie vom Poetischen Genius stammen, aber auch falsch, weil sie interpretierte Aussagen, in Denken und Sprache übersetzte Fragmente der nicht-denkbaren Einen Wahrheit sind. Jede formulierte Wahrheit sieht sich unweigerlich einer entgegengesetzten formulierten Wahrheit entgegengestellt, die als ihr Widersacher auftritt im Kampf um die Vormachtstellung eines Absolutheitsanspruches. Dass keine Wahrheit letzten Endes gänzlich wahr ist, zeigt sich in gerade dieser Relativität, in dieser Rivalität. Der poetische Genius sprengt alle Grenzen des Relativen, indem er vor der Sprache, über ihr ist; er ist der Möglichkeits-, der Unendlichkeitssinn des Menschen, der sich der mühsamen sprachlichen Abtastung entzieht. Er äussert sich somit nicht in sprachlichen Begriffen, sondern in Symbolen, für welche die Sprache (der Dichtung etwa) nur die „Behälter“ liefert.

Als Gnostiker schöpft Blake nun aus jenem reichen Bilderschatz, den die verschiedenen gnostischen Strömungen der Antike gehoben haben, so auch aus dem Symbolfeld der „zwei Welten“, der demiurgischen (welche letztlich, übertragen in die Begrifflichkeit der „Moderne“, die materielle und somit die einzige Welt ist, welcher heute noch Realität zugebilligt wird) und der lichthaften, pleromischen Welt des Geistes, der Transzendenz, wie wir heute sagen würden. Da diese beiden Welten ineinander übergehen, und es eine Frage der Erkenntnis ist (hier aber wahre Erkenntnis: Gnosis eben), den Verstrickungen beider nachzuspüren, um diese zu lösen und sich von der demiurgischen Welt zu befreien, erforscht Blake natürlich auch die Welt des Demiurgen, des Schöpfers der materiellen Welt, des falschen Schöpfers (dessen Kind letztlich auch die Aufklärung ist). Allerdings nicht ohne Grauen, wenn er in seinem berühmten Poem „The Tyger“ dichtet:

(...)
Tyger! Tyger! burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Dare frame thy fearful symmetry?

Diesem Demiurg, dem „Ewigen Geometer“ Voltaires, dem Grossen Handwerker, dem (deistischen) „Gott“ der Aufklärer, der die Welt mittels geometrischer Muster des Masses erschaffen hat, begegnen wir in Blakes berühmten Kupferstich „The Ancient of the Days“.

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Man sieht, Blake verschliesst sich dieser Welt nicht, nein, er spürt ihren Windungen nach, um letztlich aber in jene Bereiche vorzustossen, die jenseits dieser Welt liegen, im Pleroma, im Lichtreich, wo der Gottmensch (in „Jerusalem“ etwa nennt er ihn Albion) eigentlich herstammt. Blake steht damit in einer Traditionslinie mit den Strömungen der Hermetik, der neuplatonischen Philosophie Plotins, eines (wie Gerhard Wehr etwa sagen würde) esoterischen Christentums, usw. Was sagen Sie?
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