Heavy Metal ist das al-Jazeera der muslimischen Jugend

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Eiswalzer
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Heavy Metal ist das al-Jazeera der muslimischen Jugend

Beitrag von Eiswalzer »

Nick Joyce, Tages Anzeiger hat geschrieben:Heavy Metal ist das al-Jazeera der muslimischen Jugend

Unter Jugendlichen zwischen Rabat und Islamabad erlebt Heavy Metal einen Boom. Der amerikanische Historiker Mark LeVine nennt im Buch «Heavy Metal Islam» die Gründe.

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heavymetalislam.net
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Mark LeVine: Heavy Metal Islam. Three Rivers Press, New York 2008. 296 Seiten, Fr. 18.50

Die Leser von «USA Today» waren überrascht, als sie letzten Oktober den Bericht über ein Heavy-Metal-Konzert lasen, das im Ausland vor gerade mal 250 Leuten stattgefunden hatte. Die Tageszeitung mit Millionenauflage mass dem Auftritt von Brutal Impact und Dog Faced Corpse offenbar eine besondere Bedeutung bei: Das erste Metal-Konzert, das seit 2003 in Bagdad über die Bühne ging, sei ein Indiz, wie sehr sich die Sicherheitslage in der irakischen Hauptstadt entspannt habe.

Während vieler Jahre konnte man im Irak wegen eines auffälligen T-Shirts umgebracht werden. Das sagte Mani von Brutal Impact im Gespräch mit «USA Today», und die traurigen Fakten geben dem 21-jährigen Musiker Recht. Acrassicauda, die letzte in Bagdad aktive Metal-Band, floh 2003 in die Türkei. Seither operiert die Szene privat im Untergrund. Laut der Agence France Presse (AFP) sind in den letzten fünf Jahren allein in der irakischen Hauptstadt um die 50 Musiker umgebracht worden. Aus Angst vor fundamentalistisch motivierten Übergriffen sei die Zahl der traditionellen Musikgruppen von einst 300 auf 100 zurückgegangen.

Verunglimpft, verprügelt, verhaftet

Gefangen zwischen Bürgerkrieg und Okkupation, ist der Irak natürlich ein Extremfall. Aber auch in anderen islamischen Ländern wird Heavy Metal mit Argwohn betrachtet. Das schreibt der US-amerikanische Historiker Mark LeVine in seinem aktuellen Buch «Heavy Metal Islam»: Vielerorts würden Musiker und Fans verunglimpft, verprügelt oder gar verhaftet, wobei die Repressalien anders als im Irak meist eher politisch als religiös motiviert seien. Laut LeVine fürchtet manche Regierung jede Bewegung, die Tausende junger Menschen begeistern, berauschen und vereinen kann.

In seinem Buch zeigt LeVine, Professor an der Universität von Kalifornien, minutiös auf, wie unterschiedlich in den einzelnen Staaten die Beziehung zwischen Politik und Musik ist: Toleranz im Libanon, Duldung in Marokko, Repression in Ägypten. Man mag das Sprunghafte seines mit O-Tönen, Anekdoten und Spekulationen gepfefferten Stils vielleicht nicht, schätzt aber die Begeisterung, mit der er gängige Stereotypen über die islamische Welt und den Heavy Metal aus dem Weg räumt. Für die Fans zwischen Rabat und Islamabad gebe es keinen Widerspruch zwischen Rock und Religion, schreibt er. Das Eine könne sogar Ausdruck des Anderen sein.

Wer sich die Musik der muslimischen Metal-Bands auf Youtube oder Myspace anhört, merkt schnell, dass sie keine simplen Kopien englischer oder amerikanischer Vorbilder sind. Vielmehr begegnet man häufig einem Lokalkolorit, der sich in Anleihen bei traditioneller Musik und vertrackten Polyrhythmen äussert. Andere Gruppen, wie etwa die libanesischen Kordz, gefallen sich in einer fast schon Eurovisions-tauglichen Melodiosität.

Manchmal sind die Eigenheiten auch durch äussere Zwänge bestimmt: Um nicht mit der Zensur in Konflikt zu kommen, verzichtet der iranische Gitarrist Farzad Golpayegani ganz auf Songtexte. Im Metal eine Seltenheit. Diese Konzession hat Golpayeganis Appeal bei den Fans keineswegs geschmälert. Sie stellt aber dennoch einen tiefen Einschnitt dar, lebt doch der muslimische Metal nicht nur vom Sound, sondern auch von Inhalten. In den Songs geht es oft um das Leben mit Korruption und Krieg, um Gewalt und Globalisierungsängste.

Die Aggressivität und Zerrissenheit des Metal sind das Medium, in dem junge Muslime ihren Alltag wiedergeben. Der marokkanische Gitarrist Reda Zine bringt es auf den Punkt: «Wir spielen Heavy Metal, weil unser Leben wie Heavy Metal ist.» In Anlehnung an den alten Satz, wonach Hiphop das CNN des schwarzen Amerika sei, könnte man heute sagen: Heavy Metal ist das al-Jazeera der muslimischen Jugendlichen.

Im Unbehagen über die politische und soziale Lage in ihren Heimatländern begegneten sich religiös motivierte Reformer und die Metal-Fans, schreibt LeVine. Aber da sind noch mehr Gemeinsamkeiten: «Aus musikalischen und ästhetischen Gründen mag ich keinen Heavy Metal», zitiert er Sheikh Anwar al-Ethari, einen liberal gesinnten schiitischen Aktivisten aus Sadr City. «Aber wenn wir in grossen Mengen zum Gebet zusammenkommen, schreien und zu unseren Trommelrhythmen die Arme in den Himmel strecken, machen wir doch auch eine Art Heavy Metal.» Der Zeitung «USA Today» fielen weitere Parallelen auf: Zwischen einer fundamentalistischen Brandrede und einer vertonten Drohgebärde von Brutal Impact gebe es eigentlich nur formale Unterschiede.

Black Sabbath und Led Zeppelin

Dass gerade Metal mehr noch als Punk oder Hiphop unter muslimischen Jugendlichen Anklang findet, hat neben der vordergründig kompromisslosen Gangart des Genres auch mit seiner Geschichte zu tun. Der amerikanische Surf-Gitarrist Dick Dale, der so einflussreiche Rockmusiker wie Jimi Hendrix prägte, brachte seine libanesischen Wurzeln in elektrifizierten Folkstücken wie «Misirlou» zum Ausdruck. Spätere Metalpioniere wie Black Sabbath verwendeten orientalische Tonskalen, um in ihrer Musik Spannung und Atmosphäre zu erzeugen.

Der pakistanische Gitarrist Salman Ahmed hört in Led Zeppelins Vierteltonintervallen sogar Anklänge an die Sufi-Musik seiner Heimat – kein Wunder, bezeichnete er die britische Band in einem Artikel für die «International Herald Tribune» als eine frühe und darum wichtige Brücke zwischen Ost und West.

Stimmig beschliesst LeVine «Heavy Metal Islam» mit einem Besuch des Dubai Desert Rock Festivals im Jahr 2006. Während Robert Plant, der ehemalige Sänger von Led Zeppelin, das Publikum mit Ansagen auf Arabisch und Urdu verzückte, begnügten sich die übrigen westlichen Bands darauf, ihren Job möglichst gut zu machen. LeVines Glauben an die revolutionäre Kraft der Rockmusik zum Trotz scheinen die Dinge ihren gewohnten Lauf zu nehmen. Der Brückenschlag zwischen Ost und West wird allmählich durch das Einweggeschäft ersetzt, durch den Import westlicher Popmusik in die muslimische Welt.
(Tages-Anzeiger)
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Graf von Hirilorn
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Beitrag von Graf von Hirilorn »

Hmmmmm... Bis jetzt dachte ich, dass man die alle mit Metal foltern kann...
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Fänge
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Beitrag von Fänge »

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Der Theurg
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Beitrag von Der Theurg »






(Bedaure, weiss grad nicht, ob das schon jemand anders hier ins Forum reingestellt hat...)
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