Nach den stilistischen Verirrungen in Industrial Gefilde und dem Rausschmiss von Nazigurke Dave Vincent sah sich Trey Azagtoth bekanntlich genötigt, beim letzten Morbid Angel Album "Formulas Fatal to the Flesh" die kreativen Zügel komplett in die eigenen Hände zu nehmen. Es entstand ein Album, das musikalisch sämtliche klassischen Trademarks der Band nebeneinander aufreihte und textlich komplett auf Trey's zugegebenermassen ziemlich wahnsinnigem, aber mittlerweile auch völlig kohärentem religiösen Weltbild aufbaute. Die stilistische Schiene war also ein für allemal klar festgelegt, und alle Welt erwartet jetzt vom Nachfolgealbum eine konsequente Fortsetzung dieses Stils.

Aber Morbid Angel tun natürlich das genaue Gegenteil. Hinter dem arg klischeehaften Coverartwork des ebenso klischeehaft betitelten neuen Werkes Gateways to Annihilation verbirgt sich das wohl sperrigste und experimentellste Album der Bandgeschichte. Die meisten Songs sind ungewohnt langsam, Elektro Instrumentals gibt's fast keine, und alle Texte bis auf "Secured Limitations" entstammen der Feder des neuen Frontmanns Steve Tucker, sumerisches Kauderwelsch sucht man also ebenfalls vergeblich.

Wurde das Vorgängeralbum noch mit 3 Highspeed Klopfern eröffnet, setzen uns die Wahnsinnigen aus Tampa diesmal gleich zu Anfang 3 im mittleren bis schleppenden Tempobereich angesiedelte Nummern vor. Dabei hangeln sie sich vom noch relativ simpel dahergroovenden "Summoning Redemption" über das mit abgedrehten Tempowechseln gespickte "Ageless, Still I Am" durch zum komplett von Steve Tucker ersponnenen, ultralangsamen "He Who Sleeps", das entfernt an "God of Emptiness" erinnert und schon auf dem diesjährigen Wacken Open Air für offene Münder gesorgt hat.

Nachdem die alte Fangemeinde mit diesem Eröffnungstrio erstmal gehörig erschreckt worden ist, wird bei den folgenden Tracks doch noch ein paarmal ordentlich das Gaspedal durchgedrückt. Schon beim nächsten Song, "To the Victor, the Spoils", wird ordentlich Blastbeat geknüppelt, und auch "Opening of the Gates" ist nicht gerade gemütlich. Letzterer scheint in der Mitte etwas gar langfädig, allerdings fehlen auf dem mir vorliegenden Vorabtape offenbar die Gitarrenleads bei diesem Song. Auch das abschliessende "God of the Forsaken" ist ein Highspeed Kracher erster Güte und entstammt übrigens der Feder von Hate Eternal Frontsau Erik Rutan, der diesmal wieder aktiv an der Platte beteiligt war, nachdem er ja schon seit "Covenant" Zeiten live die zweite Klampfe bedient und auch auf "Domination" beim Songwriting mitmischen durfte. Seinem Mitwirken dürften auch die etlichen melodischen Leadparts zu verdanken sein. Trey Azagtoth ist ja eher für das geisteskranke Highspeed Geschrattel zuständig.

Sämtliche Songs wissen durch reichlich abgedrehte Riffs zu glänzen, die zum Teil sogar für Morbid Angel Verhältnisse noch ziemlich verrückt wirken. Ausserdem wurde mehr denn je mit zweistimmigen Gitarrenläufen, wunderbar schräg klingenden Harmonien und unvorhersehbaren Tempowechseln gearbeitet. Und Drummer Pete Sandoval kann bei den vielen Midtemposongs endlich mal zeigen, dass er auch mehr drauf hat als endloses Highspeed Geklopfe. Negativ fällt eigentlich nur das eintönige "I" auf, bei dem zum 3. Mal der Grundriff von "Nothing But Fear" vom "Domination"-Album bemüht wird, welcher in anderen Varianten schon bei "Summoning Redemption" und am Anfang von "Opening of the Gates" zum Einsatz kommt. Im Grunde besteht der Song auch fast nur aus Variationen dieses einen Riffs und ist daher ziemlich eintönig. Klingt irgendwie nach der Morbid Angel Variante von "Enter Sandman"...

Fazit: Nach dem ersten Anhören wird dieses Album wohl den meisten ziemlich quer im Magen liegen, und manch einer würde sich wohl etwas mehr schnelles Material wünschen. Nach einigen Durchläufen zünden die Songs aber gewaltig, und "Gateways to Annihilation" entpuppt sich als wahres Groovemonster, vollgestopft mit dem, was Morbid Angel schon immer ausgemacht hat - eigenwillige Gitarrenarbeit, absolutes Mörderdrumming, kompromisslose Härte trotz aller Experimente, und seit neuestem auch Steve Tucker's geniales Händchen für eingängige Vocallines.

Albuminfo

Punkte

 

0/5

Label

Earache

Veröffentlichung

10/2000

Format

CD

Land

Genre

Death Metal