Wer Martröð bisher nur als schattenhafte Randerscheinung der isländisch-amerikanischen Avant-Black-Metal-Achse wahrgenommen hat, wird von "Draumsýnir eldsins" auf denkbar unnachgiebige Weise eines Besseren belehrt. Dieses Debütalbum verlangt viel: Aufmerksamkeit, Geduld, sogar eine gewisse Bereitschaft, sich überwältigen zu lassen. Die vier Stücke mögen jeweils um die zehn Minuten lang sein, doch ihre Dichte, ihr chaotisch-organisiertes Brodeln und die unberechenbare Dramaturgie machen sie zu deutlich schwerer verdaulicher Kost, als es die Spieldauer vermuten lässt. Und doch ist genau darin die besondere Qualität dieses Albums verborgen: Es wächst. Langsam, tief, fast heimtückisch – von Durchlauf zu Durchlauf.

Schon der Opener "Sköpunin" markiert den Eintritt in eine fieberhafte Traumlogik, in der avant-klassische Aufbrüche, psychotrope Noise-Einsprengsel und überschlagende Gitarrenstrukturen ineinandergreifen. A.P. und H.V. schichten hier eine kakophone Architektur aus Dissonanz und abgründigen Harmonien, die sich nie vollständig greifen lässt. Selbst die ruhigeren Momente wirken nicht wie Entlastung, sondern wie das unheimliche Innehalten eines Traums, bevor er kippt. Dass die Komposition mit choralen Spannungsbögen zu einem unheilvollen Finale wächst, zeigt eindrucksvoll, wie wenig Martröð an linearen Erzählungen interessiert sind – und wie stark an der Verdichtung einer Vision.

In "Líkaminn" und "Tíminn" setzen sich diese Gegensätze fort: gewaltige Gitarrenmassive, verschobene metrische Muster, Riffs, die sich wie glühende Drähte ineinander verknoten, kontrastiert mit Passagen, in denen das Ensemble fast in sich zusammensinkt, um dann aus dem Nichts wieder eruptiv aufzubrechen. Jack Blackburns Drumming arbeitet dabei weniger als rhythmische Stütze denn als nervöses Nervensystem des Albums – flackernd, hyperventilierend, doch präzise. Magnús Halldór Pálssons Basslinien schieben sich organisch dazwischen und verleihen den Stücken einen unruhigen Puls, der selbst in den langsameren Momenten nie zur Ruhe kommt.

Der Schluss "Dauðinn" bindet schließlich die rituellen Elemente zusammen, die durch Gastbeiträge von NYIÞ, Olivia Wilding und Bjarni Einarsson angedeutet werden. Das Resultat ist ein brodelndes Finale, das weniger wie ein Abschluss wirkt als wie die Öffnung einer neuen Schwelle: ein anderer Raum, ein anderer Zustand, ein anderes Ende. Hier kulminiert das, was Martröð über ein Jahrzehnt vorbereitet haben – nicht als Fortsetzung der "Transmutation of Wounds", sondern als Transformation dieses Ansatzes in etwas umfassenderes, fremderes, unnachgiebigeres.

Die Komplexität von "Draumsýnir eldsins" macht es schwer, das Album beim ersten Hören vollends zu fassen. Es kann überladen wirken, zu dicht, zu viel – ein labyrinthischer Sturm aus Ideen, Schichten, fragmentierter Melodik und halluzinogener Atmosphäre. Doch gerade weil das Album so unzugänglich ist, entfaltet es mit jedem Durchlauf eine neue Facette. Das Unbequeme wird nachvollziehbar, das Überwältigende kohärent, und zwischen den Verwerfungen beginnt die Vision durchzuscheinen, die Martröð hier beschwören. Es klingt etwas, als ob sich die Französische Avantgarde (Ershetu und Blut aus Nord zu "Disharmonium"-Zeiten) sich mit den bekannten Isländern gepaart hätten (Misþyrming, Zhrine).

Am Ende bleibt "Draumsýnir eldsins" ein Werk, das sich konsequent jeder Erwartung entzieht: weder klassisches isländisches Dissonanzgewitter noch US-Avant-Black-Metal im bekannten Sinn, sondern eine seelenverzehrende Schnittmenge beider Welten. Ein fiebriger Traum, der sich nicht erklärt, sondern erschließt – langsam, schwer, aber dafür umso nachhaltiger. Ein Album, das verlangt, aber auch liefert. Und eines, das mit Sicherheit nicht nach dem ersten Hören wieder verschwindet.

Albuminfo

Punkte

 

3/5

Label

 

Debemur Morti

Veröffentlichung

 

12/2025

Format

 

CD

Land

 

Island

Genre

 

Black Metal

Trackliste

01. Sköpunin
02. Likaminn
03. Timinn
04. Daudinn