„Alt som finnes“ fühlt sich an, als würde man im Auge eines Sturms bewusst die Augen offenhalten. Bizarrekult bauen hier kein Schiff, das Sicherheit verspricht – sie werfen uns direkt ins Wasser. Jeder Song ist eine Welle mit eigener Gravitation: mal bricht sie kalt über den Kopf, mal trägt sie einen für einen Atemzug nach oben, bevor sie erneut in die Tiefe zieht. Und doch bleibt der Ozean ein einziger, dunkler Spiegel: grenzenlos, unerbittlich, ehrlich.
Roman V. schreibt dieses dritte Album hörbar aus jenem inneren Ort, an dem Klarheit weh tut. Die Musik wirkt wie Metall, das unter enormem Druck erhitzt wird – roh, scharfkantig, aber mit einem Glühen, das Wärme andeutet. Man spürt die einsame Herkunft des Projekts, die Wurzeln im norwegischen Black-Metal-Erbe, diesen kalten Stahl, der an frühe Darkthrone erinnert. Doch darüber legt sich ein atmender Nebel aus Post-Metal, der Linien verwischt, Gefühle freilegt und Verletzlichkeit nicht versteckt, sondern verstärkt.
„Drøm“ scheint wie ein Fluchtloch in der Wand des Bewusstseins – ein Traum, der nicht süß, sondern dringend ist. Die Gitarren rasen, als würden sie gehetzt von dem Wunsch, irgendwo kurz atmen zu dürfen. „Verdens verste“ schlägt wie ein Herz, das gelernt hat, im Maschinenraum einer konsumierenden Welt zu pochen, während „Avmakt“ wie ein Kampf unter Wasser wirkt: fiebrige, sich windende Bewegung, bis die Kraft versiegt und nur noch leuchtende, langsam erlöschende Punkte im Dunkeln schweben.
Dass Roman diesmal nicht allein schreit, sondern Stimmen von Predatory Void, MØL und Dødheimsgard in diesen Mahlstrom holt, verleiht der Musik die Gestalt eines Gesprächs am Abgrund. Besonders „Blikket Hennes“ fühlt sich an wie Schuldeingeständnis und Trost zugleich – ein Stromschlag aus Dunkelheit, durchzogen von plötzlichem Licht, wenn Vicotniks klare Vocals einsetzen. Man hört nicht nur Kollaboration, sondern Verbindung; nicht nur Technik, sondern Austausch von Narben.
„Alt som finnes“ ist ein Album, das nicht heilt. Es legt frei. Es nimmt die Panzerung ab, lässt die Haut im Wind brennen und zeigt, dass Schmerz und Erkenntnis zwei Seiten derselben schneidenden Klinge sind. Im letzten Stück, „Tomhet“, scheint die Leere erstmals nicht nur hohl zu sein, sondern wie ein Raum, in dem man gemeinsam stehen könnte. Die Erkenntnis „Wir sind viele“ klingt weniger wie Trost und mehr wie ein stiller Schwur: Wir tragen das Gewicht, aber wir tragen es bewusst.
Bizarrekult haben kein Album geschrieben, das man nebenbei hört. „Alt som finnes“ ist kein Soundtrack. Es ist ein Zustand. Ein Meer, das nicht beruhigt, aber Wahrheit in seine Wellen schreibt. Wer hineingeht, kommt verändert zurück – vielleicht nicht stärker, aber aufrichtig. Und das ist in dieser Musik eine größere Form von Triumph als jede heroische Pose.
Albuminfo
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Punkte |
4/5 |
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Label |
Season of Mist |
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Veröffentlichung |
02/2026 |
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Format |
CD |
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Land |
Russland/Norwegen |
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Genre |
Black Metal |
Trackliste
2. Blikket Hennes (6:18)
3. Avmakt (6:10)
4. Håp (6:22)
5. Drøm (4:42)
6. Verdens Verste (4:22)
7. Aversjon (5:24)
8. Tomhet (6:27)
