Eisige Winde fegen über das schwarze Lavagestein der Westfjorde, wenn Sólstafir mit ihrem achten Album "Hin Helga Kvöl" in die Klangschlacht ziehen. Nachdem sich die isländische Band in den letzten Jahren fast einem alternativen Post-Rock-Kosmos angenähert hatte, erheben sie nun erneut das Schwert und die schweren Gitarren. Aber dies ist kein reines Wikingergebrüll: Sólstafir balancieren immer noch zwischen den Extremen ihrer musikalischen Welten, und "Hin Helga Kvöl" beweist, dass ihre Rückkehr zu den Wurzeln keine Abkehr von experimentellen Facetten bedeutet.

Das Album beginnt mit „Hún Andar“, einem Stück, das auf den ersten Blick sanft daherkommt, doch schon bald seine wahre Stärke zeigt: dröhnende Riffs und zitternde Drums unterbrechen die sanfte Melancholie, während Aðalbjörn „Addi“ Tryggvasons Singschreien tief unter die Haut geht. Dieses eröffnende Feuerwerk wird bald vom Titeltrack abgelöst, der mit unerwarteter Heftigkeit hereinbricht. Hier wagt die Band eine Hommage an ihre Black-Metal-Anfänge, indem sie Blastbeats und grelle Gitarrenarien entfesselt – eine fast schelmische Rückkehr in finstere Zeiten, die Fans der frühen Tage ekstatisch aufhorchen lassen wird.

Doch "Hin Helga Kvöl" ist keine monochrome Rückschau, sondern ein Chamäleon, das sich von Track zu Track wandelt. Zwischen treibendem Rock und sphärischer Melancholie entwickelt sich ein Wechselspiel, das mal beeindruckt, mal verwirrt. „Blakkrakki“ flirtet mit heroischen Rockelementen, inklusive eines Gitarrensolos, das wie ein Aufbäumen gegen isländische Naturgewalten klingt. Hingegen zeigen „Salumessa“ und „Freygatan“ Sólstafir von ihrer introspektiven Seite, und die bandtypische nordische Melancholie trieft aus jeder Note. Diese Lieder sind wunderschön, doch es bleibt das Gefühl, dass etwas von der unerreichbaren Magie von Klassikern wie „Fjara“ oder „Ótta“ fehlt.

Ein echter Hingucker ist „Kuml“, das finale Epos, das die vertrauten Klangwelten der Band verlässt. Mit Gastgesang von Sigurjón Kjartansson, sakralem Flair und Doom-Jazz-Einflüssen streift der Song fast an eine surreale Liturgie heran. Saxophone winden sich wie Nebelschwaden, und das Stück schwingt sich in düstere Höhen, die an Wardruna oder Bohren & der Club Of Gore erinnern. Allerdings: Der Übergang zu verzerrten Gitarren am Ende wirkt unausgegoren und lässt die Spannungskurve etwas unrund erscheinen. Hier hätten Sólstafir mehr Mut zur Strukturbewahrung beweisen können.

Einige Momente, wie der zerklüftete „Gryla“ oder der eher unscheinbare „Vor As“, schaffen es nicht, die Intensität aufrechtzuerhalten. Es sind Tracks, die an sich ansprechend klingen, aber im Gesamtgefüge etwas diffus wirken. Vielleicht sind es diese Unebenheiten, die "Hin Helga Kvöl" wie das Werk einer jungen, hungrigen Band erscheinen lassen, die lieber mit Ideen spielt, als alles in einen homogenen Fluss zu zwingen. So bleibt die Dramaturgie des Albums zwar inkohärent, aber gleichzeitig lebendig und aufregend.

Sólstafir sind zurück, und sie bringen eine Frische mit, die – trotz mancher Schwächen – aufhorchen lässt. "Hin Helga Kvöl" ist kein neuer Klassiker, doch es wagt sich hinaus in die Stürme und schlägt Haken zwischen Melancholie und Metal. Es ist eine Platte, die alte und neue Fans auf verschiedene Weise anzieht, und gerade in ihrer Unvollkommenheit einen rauen Charme entfaltet. Und vielleicht ist es gerade diese Wildheit, die Sólstafir zuletzt gefehlt hat.

 

Albuminfo

Punkte

 

3/5

Label

 

Century Media

Veröffentlichung

 

11/2024

Format

 

CD

Land

 

Island

Genre

 

Post Metal

 

Tracklist

1. Hún andar
2. Hin helga kvöl
3. Blakkrakki
4. Sálumessa
5. Vor ás
6. Freygátan
7. Grýla
8. Nú mun ljósið deyja
9. Kuml (forspil, sálmur, kveðja)