Es gibt Alben, die sich wie Nebel in die Gehörgänge legen – kühl, schwebend, geheimnisvoll – und erst nach und nach ihre wahre Gestalt offenbaren. "Tatkraft", das Debüt von Sun After Dark, ist eines dieser Werke. Hinter dem Projekt steht kein Geringerer als Benjamin König, einst kreativer Kopf der legendären Black-Metal-Formation Lunar Aurora. Nach über einem Jahrzehnt musikalischer Stille kehrt König mit einem Werk zurück, das so reich an Atmosphäre und Tiefgang ist, als hätte er in all den Jahren heimlich an einem musikalischen Grimoire geschrieben.

Der Opener Dawn and Dirges entfaltet sich wie das erste Licht nach einem langen arktischen Winter: zaghaft, dann plötzlich gleißend, durchzogen von Synth-Flächen und einem Gitarrenriff, das sich in die Brust bohrt. Die Kombination aus Thomas Helms erhabenem, opernhaftem Gesang und den harschen Screams von Matthias Jell (Dark Fortress) wirkt wie der Wechsel von Weihrauch zu Schwefel – ein ständiger Tanz zwischen Licht und Finsternis.

Doch "Tatkraft" ist kein bloßes Spiel mit Kontrasten. Vielmehr ist es ein fein gewebter Klangteppich, in dem sich Gothic-Schwärze, Black-Metal-Glut und elektronische Kälte zu einer fast alchemistischen Einheit verbinden. In “Waidmanns Hoffnung” schleichen sich Drumloops und melancholische Gitarrenlinien durch die Nacht, bevor sie von einem Ausbruch an Raserei zerfetzt werden. Diese Dynamik – das Changieren zwischen Pathos und Pandämonium – durchzieht das gesamte Album.

Spuren von The Vision Bleak, Empyrium oder eben Lunar Aurora schimmern immer wieder durch die Kompositionen. Und doch klingt "Tatkraft" nie epigonal. König gelingt es, vertraute Klangfarben zu etwas Neuem zu verschmelzen – vielleicht gerade weil er das Malerische nicht nur in der Musik, sondern auch in der Bildkunst beherrscht. Die Keyboardarbeit ist ein Gedicht aus Nebelschwaden und ätherischem Flimmern: Mal sirenenhaft (“Waidmanns Hoffnung”), mal bedrohlich grollend (“Antarctic Morning”), mal verspielt funkelnd wie Frostkristalle (“Burning Blue”).

Gerade diese Stücke – “Burning Blue” und “Antarctic Morning” – offenbaren das ganze Potential von Sun After Dark. Hier stimmt nicht nur die Stimmung, hier sitzt auch die Dramaturgie. Die Lieder atmen, wachsen, gipfeln – und hinterlassen das süße Gefühl von Vollendung. Weniger ausgereift präsentieren sich dagegen “Ohne Grab” oder “Schlittenfahrt”. Trotz starker Ideen – wie dem herrlich schrägen Polka-Riff in letzterem – fehlt diesen Stücken der rote Faden, das narrative Momentum.

Aber genau in diesen Brüchen liegt eine gewisse Schönheit. "Tatkraft" ist kein aalglattes Produkt, sondern ein Ausdruck künstlerischer Unbedingtheit. König komponiert nicht für Playlisten, sondern für Weltenbauer. Wer bereit ist, sich auf das Album einzulassen, wird belohnt – mit einer Musik, die mal zum Träumen verführt, mal zum Aufschreien reizt. Der Mix von Victor Bullok (Triptykon) sorgt dafür, dass auch die feinsten Texturen nicht untergehen, sondern glänzen dürfen.

"Tatkraft" ist ein Album, das nicht gefallen will, sondern erlebt werden muss – ein Werk, das sich weigert, in einfache Schubladen zu passen. Es lebt von seinen Gegensätzen, seinen Ideen, seiner Unruhe. Und es macht neugierig auf mehr. Sollte die Zukunft von Sun After Dark ganz im Zeichen der dunklen Eleganz von “Burning Blue” stehen, dann steht uns ein neuer Fixstern am Firmament der düsteren Klangkunst bevor.

Albuminfo

Punkte

 

4/5

Label

 

Hammerheart

Veröffentlichung

 

06/2025

Format

 

CD

Land

 

Deutschland

Genre

 

Black Metal